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Der Ausloeser

Der Ausloeser

Titel: Der Ausloeser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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er verstummte, konnte er sich bildlich vorstellen, wie sich Davis mit dem Hörer am Ohr vorbeugte. Der Typ war ein brillanter Wissenschaftler, aber sein Pokerface war erschreckend schlecht. »Du weißt schon, Vertraulichkeitsvereinbarungen, Vorschriften …«
    »Kenn ich, kenn ich.« Er zögerte. »Und du denkst, es könnte genauso laufen wie damals?«
    »Schwer zu sagen. Aber mit deiner Hilfe könnte sich was draus entwickeln.«
    Davis seufzte. »Na gut. Meine Frau wird mir den Kopf abreißen, aber ich denke, gegen Abend kann ich hier verschwinden. Wie wär’s um neun?«
    »Früher geht’s nicht?«
    »Wie gesagt, meine Kleine hat Geburtstag.«
    »Stimmt, natürlich. Dann um neun.«
    Also musste Ian bis kurz vor neun durch sein Wohnzimmer tigern und auf den Teppich starren, während er am liebsten auf die Knie gesunken wäre und die letzten Kokskrümel von der Tischplatte geleckt hätte.
    Er hatte begriffen, dass er ein Versager war. Seine einzigen echten Freunde hatten es ihm ins Gesicht gesagt. Er hatte beschlossen, etwas dagegen zu tun. Doch bis dahin galt es einige quälend lange Stunden zu überstehen.
    Das alte Dilemma, wenn man eine Entscheidung getroffen hatte: Die Entscheidung selbst war nicht das Problem. Es kam darauf an, ob man mit ihr leben konnte.

28
    MIT AUFFALLEND BLASSEN, HAARLOSEN BEINEN FLITZTE DAS MÄDCHEN ÜBER DAS SPIELFELD ,   der Ball raste vor ihr her wie ein fröhlicher Welpe. Ihr Pferdeschwanz flatterte in der Luft, selbst von der Tribüne aus war ihr grimmig-entschlossener Blick zu erkennen. Die erste Verteidigerin ließ sie mit einer Finte aussteigen, einmal links angetäuscht, und schon war ihre Gegnerin aus dem Rennen. Die zweite Verteidigerin setzte alles auf eine furchtlose Grätsche, den rechten Fuß ausgestreckt, den Rücken durchgedrückt, das linke Bein angewinkelt – eine halbe Sekunde zu spät. Danach war das Einzige, was ihrem Torjubel noch im Weg stand, eine Zehnjährige mit dreckigen Knien. Die Angreiferin legte sich den Ball mit dem linken Fuß vor, mit dem rechten holte sie aus, und im nächsten Moment schoss der Ball als schwarz-weißer Schemen Richtung Tor.
    Obwohl ihm bewusst war, was er vorhatte, obwohl ihm das Ausmaß seiner Pläne fast die Luft abschnürte, ließ Alex sich vom Augenblick mitreißen. Der Geruch von frisch gemähtem Gras, bonbonbunte Trikots, brüllende Trainer an der Seitenlinie, die heiße Nachmittagssonne auf seinen Schultern.
    Und vor allem Cassie, die genau jetzt zur Seite sprang, einfach abhob, lang ausgestreckt und mit fliegenden Zöpfen. Für einen Moment hing sie beinahe horizontal in der Luft, ein Engel mit langen, immer längeren Fingern, die tatsächlich den Ball berührten, gerade so, aber es genügte: Der Ball plumpste vor die Torlinie. Geschafft.
    Und die Menge explodierte. Ein Spiel in der entscheidenden Phase des Turniers an einem schönen Tag in einem teuren Vorort. Es wimmelte von Eltern und Großeltern, Geschwistern und Freunden. Trotzdem hatte Alex sich lieber nicht zu den Unterstützern der Heimmannschaft gesetzt, weshalb er jetzt nur zuschauen konnte, wie Trish und ihr neuer Mann auf der gegenüberliegenden Tribüne aufsprangen und loskreischten. Sosehr er sich für Cassie freute, er musste zwischen den Eltern der gegnerischen Mannschaft hocken bleiben, die sich halblaut über seine unschlagbare Tochter beschwerten. Sie war einfach perfekt.
    Ein paar Minuten zuvor hatte er gespürt, wie Trishs Augen über die Menge gewandert waren, bis sie ihn schließlich entdeckt hatte. Er hatte möglichst ungerührt auf den Platz gestarrt und geklatscht, die Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen. In diesem Moment war ihm die Galle hochgekommen, denn er war sich sicher – selbst auf diese Entfernung hatte sie ihn nicht nur erkannt, nein, sie hatte bis in sein Herz geblickt, sie wusste, was er vorhatte. Und er sah sie schon beinahe vor sich, die Handzettel in den Postfilialen, die Anzeigetafeln am Highway,   Haben Sie dieses Kind gesehen?   Dazu die merkwürdig unpassenden Bilder, Fotos aus glücklicheren Zeiten, vielleicht von einem Geburtstag oder aus dem Urlaub.
    Was war nur in ihn gefahren?
    Wieder drehte sich sein Magen um, wieder wippte er krampfhaft mit dem Fuß. Als eine Frau im Vorbeigehen irgendetwas murmelte, keifte er sie an: »Was!?«
    Sie drehte sich um und musterte ihn mit großen Augen. »Ich hab mich nur entschuldigt.«
    »Oh.« Er atmete aus und zwang sich zu einem Lächeln. »Tut mir leid.«
    Er hatte keine Wahl. Auf

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