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Der Ausloeser

Der Ausloeser

Titel: Der Ausloeser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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Küche. Ein Glas, ein paar Eiswürfel, ein Schuss Wodka. Er nahm einen großen Schluck und spürte, wie sich seine Rückenmuskulatur allmählich entspannte. Ein zweiter Schluck, dann schenkte er sich noch einmal nach und schob die Flasche wieder an ihren Platz zwischen den Tiefkühlpizzen.
    In den letzten Tagen hatte Trish so einige Nachrichten hinterlassen; Alex hatte sie immer brav abgehört, für den Fall, dass Cassie etwas zugestoßen war. Aber zurückgerufen hatte er nicht, denn sie war immer sehr kurz angebunden gewesen, und das in einem Tonfall, der nichts Gutes ahnen ließ.
    Der kugelförmige Schein der Straßenlaterne tauchte den Baum vor dem Fenster in prächtige Farben. Die Blätter im Zentrum strahlten hellgrün, die äußeren gingen in Braun- und Grautöne über, bevor sie jenseits des Lichtkegels endgültig in der Dunkelheit verschwanden. Nach Alex’ Theorie funktionierte das Leben auf ganz ähnliche Weise: Die Gegenwart konnte man noch überblicken, während Vergangenheit und Zukunft immer mehr verblassten und sich Stück für Stück vom Jetzt ablösten. Wenn er an seine früheren Leben zurückdachte, an seine früheren Ichs, erinnerte er sich an manche Momente, als wären sie gestern gewesen: Geburtstagsfeiern im Garten, Basketballspiele in der Einfahrt, mit dem verworrenen, duftenden Forsythienstrauch hinter dem Korb, dazu die warme Sonne und das gute, schwerelose Gefühl, wenn er sich zum Rebound streckte … Doch all das war unendlich weit weg. Nicht dass er es für Einbildung gehalten hätte; nein, er hatte eher das Gefühl, es wäre nicht ihm, sondern einem anderen passiert, jemandem, den er überhaupt nicht kannte, und von dem ihm lediglich ein Freund erzählt hatte. Eine Vergangenheit aus zweiter Hand.
    Zum Beispiel ihre Vierergruppe. Am Anfang war nichts davon ernst gemeint gewesen – Jenn, Ian, Mitch und er waren sich eines Abends zufällig begegnet, und es war ein erstaunlich unterhaltsamer Abend geworden. Deshalb hatten sie sich wiedergetroffen, und wieder und wieder. Bis ihm aufgefallen war, dass Jenn, Ian und Mitch seine besten Freunde waren. Sie waren es, die er Woche für Woche sah. Nicht die Leute, die er aus Gewohnheit als seine besten Freunde bezeichnete und die eigentlich zu einem Leben gehörten, das längst Vergangenheit war.
    Jeder von uns lebt in seinem eigenen Lichtkegel. Wir sehen nur ein Stück weit, und trotzdem denken wir, das wäre alles.   Der Wodka kribbelte in seiner Brust. Noch ein Schluck. Dann drückte er auf Play.
    »Ich bin’s, Alex.« Eine Pause. »Bist du da? Bitte, nimm doch ab.« Ein Seufzen. »Ich weiß, dass du absichtlich nicht zurückrufst …« Ihre Stimme, die eher zögerlich als genervt klang, erwischte ihn kalt. Sie versetzte ihn zurück in die Vergangenheit, in die Nächte, in denen sie nebeneinander gelegen und geredet hatten, ihr Kopf an seinem Hals. Es hatte mal eine Zeit gegeben, da waren sie ein gutes Team gewesen. Früher einmal.
    »Na gut.« Ihre Stimme wandelte sich, wurde entschlossener – ihr Bringen-wir’s-hinter-uns-Tonfall. »Ich hab dir was zu sagen. Eigentlich wollte ich letztes Mal mit dir reden, aber dann kam Cassie angerannt und …« Ein erneutes Innehalten. »Scheiße, Alex, warum muss ich dir so was auf den Anrufbeantworter sprechen? Warum kannst du dich nicht ein einziges Mal im Leben wie ein Erwachsener benehmen und zurückrufen?«
    In der Dunkelheit des Apartments spürte Alex, wie sich lange, klebrige Finger in seinen Magen bohrten. Er beugte sich über den Tisch, bis seine Stirn knapp über dem Anrufbeantworter schwebte. Als könnte er auf diese Weise mit Trish reden, als könnte er sie noch davon abhalten, zu sagen, was sie ihm zu sagen hatte.
    »Aber meinetwegen, wie du willst. Also: Scott hat einen Job angeboten bekommen, einen sehr guten Job, er bekommt ein eigenes Team, und … Nun ja. Auf jeden Fall muss er dafür nach Phoenix.«
    Die geisterhaften Finger schlossen sich um seine Eingeweide.
    »Er wird das Angebot annehmen, die Chance kann er sich nicht entgehen lassen. Wir verhandeln noch über Details, aber wie es momentan aussieht, ziehen wir nach Phoenix.« Ein Räuspern. »Quatsch. Es sieht nicht danach aus, es ist beschlossene Sache. Wir ziehen nach Phoenix. Alle drei.«
    Alex umklammerte die Tischkante so fest, dass sich seine Fingernägel ins Holz gruben.
    »Ich weiß, das ist ziemlich weit weg. Aber das heißt ja nicht, dass du sie nicht mehr sehen wirst. Wir kriegen das schon hin. Du kannst uns jederzeit

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