Der Ausloeser
Tür.
Vor Schreck setzte sie sich kerzengerade auf. Das Laken rutschte von ihrer Schulter, und wieder hämmerte es gegen die Tür, noch lauter und nachdrücklicher als zuvor. Einen Moment lang konnte sie sich überhaupt nicht rühren. Wie ein verschrecktes Tier, das nicht weiß, ob es sich totstellen oder fliehen soll.
Reiß dich zusammen. Entschlossen schwang sie die Beine auf den Boden und griff unter das Bett. Kaum spürte sie den Baseballschläger zwischen den Fingern, fühlte sie sich etwas besser. Sie lief barfuß durchs Zimmer. Mit jedem Schritt klarten sich ihre Gedanken weiter auf, und als sie durch den Türspion spähte, wusste sie eigentlich schon, wen sie dort erblicken würde. Sie ließ den Schläger sinken, schob den Riegel zurück und öffnete die Tür. Aber nur ein Stück weit.
Alex stand im dämmrigen Hausflur. Im fahlgelben Licht der Deckenlampe wirkten seine Gesichtszüge seltsam teigig, doch gleichzeitig schien er um einige Zentimeter gewachsen zu sein. Er starrte sie aus weit aufgerissenen, blutunterlaufenen Augen an, ein gieriger, lebenshungriger Blick. Auf einmal wurde ihr bewusst, welchen Anblick sie abgeben musste, in ihren ausgewaschenen Baumwollshorts, mit verworrenem Haar, und mit einem Baseballschläger in der Hand.
»Lass es uns tun.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie romantisch.«
»Nicht das.« Er trat einen Schritt vor. »Das mit dem Geld.«
»Was?«
»Johnny Love’s Untergang.«
Jenn rieb sich die Augen. Noch vor ein paar Sekunden hatte das Adrenalin dafür gesorgt, dass die Gedanken nur so durch ihren Kopf schossen. Jetzt war sie nur noch müde. »Es ist vier Uhr morgens.«
»Sie wollen mir Cassie wegnehmen.«
»Wer?«
»Meine Ex und ihr Mann.«
»Alex …«
»Kann ich reinkommen? Ich brauch wen zum Reden.«
Sie sah ihn an, in Gedanken bei dem Abend, den sie eben durchlitten hatte: ein Blind Date, eigentlich ein netter Kerl, der nur leider nach Aquarium roch; drei Stunden konsequenter Small Talk, der von Minute zu Minute belangloser wurde. Dann dachte sie an ihr Bett, an ihren Kokon aus warmen Decken, an ihren Traum, in dem sie auf dem Motorrad über spiegelglatten Asphalt geflogen war. Schließlich stellte sie sich vor, die restliche Nacht zuhören zu müssen, wie Alex von einer anderen Frau erzählte, und dabei ein Gähnen nach dem anderen zu unterdrücken.
»Bitte?«, bettelte er.
Sie seufzte, lehnte den Schläger an die Wand und nickte. »Komm rein. Ich mach uns einen Kaffee.«
Vor den schwarzen Fenstern, die die Nacht notdürftig auf Abstand hielten, wirkte die Küchenbeleuchtung noch greller als sonst. Sie deutete auf einen Stuhl, kramte einen Kaffeefilter aus der Schublade und füllte ihn mit Pulver aus der Tüte im Kühlschrank.
»Trish hat angerufen. Ihr Mann hat einen Job angeboten bekommen. In Phoenix. Da ziehen sie jetzt hin, und Cassie nehmen sie mit.«
»Können sie das denn einfach so machen?«
»Wie es aussieht, ja. Und nur, weil ich ein paar Mal keinen Unterhalt zahlen konnte.« Er stand auf und ging in der Küche auf und ab wie ein Tiger im Käfig. »Aber das gibt ihnen doch nicht das Recht, mir meine Tochter wegzunehmen!«
Jenn schob die Kanne in die Halterung und schaltete die Maschine ein. Sofort zischte und blubberte es. »Kann ich dir noch was anderes anbieten?«
Ein energisches Kopfschütteln. »Ich bin schon die ganze Nacht am Trinken, genauer gesagt, seit ich die Nachricht abgehört habe. Kannst du dir das vorstellen? Sie hat mir auf den Anrufbeantworter gesprochen! Ich komme von einer Doppelschicht nach Hause, und da …« Tief aus seiner Kehle drang eine Mischung aus Schnauben und Prusten. »Was soll’s. Jedenfalls bin ich seitdem am Überlegen, wie ich sie aufhalten kann. Ich hab da lauter verrückte Ideen.« Er wurde immer fahriger und strich sich über den rasierten Schädel. »Zum Beispiel könnte ich gleich jetzt rüberfahren und Cassie entführen. Was meinst du?«
»Alex –«
»Ich weiß, das weiß ich doch. Aber sie ist nun mal meine Tochter, mein Ein und Alles. Außerdem ist mir schon was Besseres eingefallen. Es geht doch um den Unterhalt, oder? Also muss ich nur zahlen, dann können sie das nicht mehr machen. Ich meine, wenn ihr Mann unbedingt nach Phoenix ziehen will, meinetwegen, und Trish kann er gleich mitnehmen. Aber Cassie bleibt bei mir.«
»Hast du das überprüft?«
»Was?«
»Bist du dir sicher, dass du nur die versäumten Unterhaltszahlungen begleichen musst und dann …«
»Aber klar
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