Der Ausloeser
Warum auch nicht? Mit Mitch konnte man es ja machen.
»Schon in Ordnung, Mitch«, sagte Jenn und lächelte ihn an, ein oberflächliches Lächeln. »Wirklich.«
Als er ihr in die Augen blickte, überkam ihn ein seltsames Gefühl, das er nur ein, zwei Mal im Leben gehabt hatte – das Gefühl, an einer eindeutigen Weggabelung angelangt zu sein. Es gab nur links und rechts, und egal wie er sich entschied, an den Ausgangspunkt würde er nie mehr zurückkehren. Entweder er schrieb sich am städtischen College ein, oder er nahm den Job an, den sein Onkel für ihn organisiert hatte. Inklusive Trinkgeld verdiente man als Portier gar nicht schlecht, und so hatte er zumindest erst mal was zu tun. Und als er wieder die Augen öffnete, waren zehn Jahre vergangen.
»Wir brauchen passende Kleidung«, sagte Mitch. »Keine eigenen Sachen, sondern Zeug aus dem Secondhandladen. Je abgenutzter, desto besser. Dasselbe gilt für die Schuhe.«
»Mitch?« Alex’ rechte Augenbraue wanderte nach oben.
»Und am besten falsche Schuhgrößen. Wir ziehen zwei Paar Socken an oder pressen die Füße irgendwie rein. Hauptsache keine eigenen Schuhe, wegen der individuellen Verschleißmuster.«
»Verschleißmuster?«
»Die genaue Beschaffenheit der Sohle. Damit weder Größe noch Abnutzung zu unseren Füßen passen.«
Jenns Lächeln wandelte sich – das, was gerade noch reine Fassade war, gewann an Tiefe und Wärme, und vielleicht, aber nur vielleicht, war auch ein wenig Bewunderung dabei.
Mitch zog den Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich.
»Bist du dir sicher?«, flüsterte Alex. »Wenn du dabei bist, bist du dabei. Dann gibt es kein Zurück mehr.«
»Fick dich doch.« Jetzt war Mitch der Coole, der Starke. Alex überragte ihn immer noch um einige Zentimeter, doch unter seinem Blick schrumpfte er in sich zusammen, lehnte sich zurück und hob die Hände. Er gab sich geschlagen.
»Alles klar«, meinte Ian. »Was brauchen wir noch?« Seine Augen blitzten wie damals, als er seine Black-Jack-Geschichte erzählt hatte. Großer Einsatz, großer Gewinn.
»Da wären noch ein paar kleine Details. Und ein ziemlich großes Detail.« Alex machte eine Pause. »Wir brauchen Pistolen.«
»Muss das denn sein?«, fragte Jenn. »Tut’s nicht auch ein Messer?«
»Nein. Johnny soll sich vor Angst in die Hose machen, und ein paar Typen mit Steakmessern werden ihn kaum beeindrucken. Nein, hier geht’s um richtig viel Geld, also brauchen wir auch richtige Waffen. Das heißt … Kennt ihr diese Attrappen, die Farbkügelchen verschießen? Die sehen verdammt echt aus. Laut Gesetz müssen sie sogar einen roten Punkt am Lauf haben, weil ein paar Cops aus Versehen Kids mit Spielzeugknarren abgeknallt haben. Wenn wir uns ein paar von den Dingern besorgen und den Punkt übermalen …« Er verstummte.
»Warum fahren wir nicht zu einer Waffenbörse?« Jenn blickte in die Runde. »Im Süden gibt’s so was noch, soweit ich weiß. Wir könnten einen kleinen Ausflug machen.«
Was für eine absurde Diskussion. Fast hätte Mitch laut gelacht. Da hatten sie so schlau dahergeredet – um gleich an der ersten Hürde zu scheitern. Sie waren schon ein paar tolle Ganoven. Jetzt, wo es um die konkrete Durchführung des Plans ging, wurde sofort klar, dass sie nicht das Zeug dazu hatten. Er lehnte sich zurück. Spätestens in ein paar Minuten würden sie die Sache abblasen.
Da brach Ians leise Stimme das Schweigen. »Ich kümmer mich um die Waffen.«
8
JA, VERDAMMT NOCH MAL, JA. DIE SACHE LIEF.
Ein magisches Kribbeln vibrierte durch Ians Körper. In solchen Momenten fühlte er sich, als würde er sich am äußersten Rand der Existenz bewegen, als könnte er für eine Sekunde hinter den Vorhang blicken, auf die Maschinerie, die das Ganze in Gang hielt, auf den Regisseur am Bühnenrand, die Zahnräder im Uhrwerk, das Silikon in den Modelbrüsten. Kein Zweifel, es war Schicksal: Da war sein Leben gerade ein bisschen zu ernst geworden, und zack, auf einmal ergab sich diese unglaubliche Gelegenheit. Er musste sich nur eine Nacht um die Ohren schlagen, und schon war er alle Sorgen los. Und nicht nur das.
»Hier können Sie mich rauslassen«, sagte er, während er dem Taxifahrer einen Zwanziger reichte.
Hier war eine Ecke am südlichen Ende der Milwaukee Avenue, wo sie längst nicht mehr so chic war wie weiter oben. An der trostlosen Ladenzeile reihte sich ein spanischsprachiges Schild an das andere, und alle versprachen Kredite ohne weitere Fragen. Eingepfercht
Weitere Kostenlose Bücher