Der Ausloeser
Mitch. Aber der hat sich nicht nur den Fuß verdreht. Der hat sich nicht nur das Knie aufgeschlagen. Wir können nicht zu Mama laufen, und das Spiel ist zu Ende. Dieses Spiel nimmt kein Ende, egal was wir tun.
»Und jetzt?«, fragte Ian mit dünner Stimme.
»Er muss ins Krankenhaus«, erwiderte Jenn. »Ich meine, es ist doch nur die Schulter, oder? Er wird doch wieder gesund, oder? Oder?«
Okay. Und wie lauten dann die Regeln für dieses Spiel? Mitch blickte ins Leere und ließ seine Freunde reden. Bestimmt übersiehst du etwas. Etwas Entscheidendes.
»Und was sollen wir denen im Krankenhaus sagen?«
»Gar nichts. Wir liefern ihn einfach vor der Notaufnahme ab.«
Er hörte die anderen kaum. Mach dir nichts vor. Dafür ist es zu spät. Damit kommst du nicht durch.
»Er wird uns verraten.«
»Er weiß nichts über uns.«
Du weißt, was Sache ist. Was zu tun ist. Es gibt nur eine Möglichkeit.
»Er hat dein Gesicht gesehen.«
»Na und? Ich hatte noch nie Ärger mit der Polizei, und …«
»Die Polizei ist nicht unser einziges Problem.«
»Und was sollen wir deiner Meinung nach tun?«
»Was weiß ich?« Ians Stimme überschlug sich. »Mann, woher soll ich das denn wissen?«
»Warum hast du nicht die Waffe fallen gelassen?«
»Ach so, jetzt bin ich schuld, oder was? Hab ich etwa geschossen!?«
»Ich musste schießen.«
Das sind die Regeln. Das steht auf dem Spiel.
Also los, zieh es durch.
Der Mann starrte sie aus großen, ängstlichen und hellwachen Augen an. Er starrte auf die beiden maskierten Männer und auf die Frau in ihrer Mitte, ja, vor allem auf die Frau – als würde er sich jedes Detail ihres Gesichts einprägen.
Oder als hätte er es sich längst eingeprägt.
Mitch hob den Revolver, spähte über den Lauf und drückte ab.
13
EIN KLEINER, ÜBERMÄSSIG HELLER, VIBRIERENDER RAUM. Alex lag auf dem Rücken. Sirenen, geschäftige Bewegung um ihn herum, ein kalter Druck auf seinem Auge. Eine Stimme. »Männlich, um die dreißig, Schlag auf Kopf und Auge mit einem stumpfen Gegenstand, Verdacht auf Gehirnerschütterung …«
»Wo … Wo … Wo bin ich?«
»In einem Krankenwagen. Ruhig. Bleiben Sie liegen.« Eine schemenhafte Gestalt befühlte seine Wange, seine Nase, schob ihm irgendetwas in die Nasenlöcher. »Wie heißen Sie?«
»Alex.«
»Und weiter?«
»Alex Kern.«
»Können Sie mir sagen, was für ein Jahr wir haben, Alex?«
»Ähhh …« Für einen Moment war er sich nicht sicher. »2008.«
»Gut, sehr gut. Wie heißt unser Präsident?«
»George W. Bush. Leider.«
Der Pfleger schnaubte. »Alles klar. Ich lege Ihnen jetzt eine Infusion. Kann ein bisschen wehtun.« Alex spürte einen kleinen Stich im rechten Ellenbogen.
»Was … Was ist …«
»Keine Sorge, das wird schon wieder. Sie haben eine tiefe Risswunde, aber das Auge sieht gut aus.«
»Und was ist mit … Da war doch ein Schuss?«
»Darüber weiß ich nichts. Sie legen sich jetzt am besten hin und versuchen, ruhig zu bleiben.«
Ruhig bleiben , dachte Alex. Na klar. Er atmete tief ein, hielt kurz die Luft an, atmete langsam aus. Scheiße, was ist da eigentlich passiert?
»Scheiße, was ist da eigentlich passiert?« Jenns Stimme klang, als wäre sie seit Wochen auf den Beinen. Statt zu antworten, lehnte Mitch sich auf ihrer Couch zurück. Seine Hände kribbelten noch immer, er hatte sie noch nie so … intensiv gespürt. Als hätte der Rückstoß des Revolvers einen tiefen Abdruck hinterlassen.
»Mitch. Ist alles …«
»Ja.« Er fühlte sich zugleich mächtig und schwach, stark und zittrig. »Ja, alles in Ordnung.«
Mitch war zum ersten Mal in ihrem Apartment; er hatte es sich ganz anders vorgestellt, mit viel Rüschenzeug, stapelweise Kissen und lehmfarbenen Wänden, die typische Katalogwohnung der kultivierten Mittzwanzigerin eben. Aber nein, ihre Zimmer waren minimalistisch und geschmackvoll eingerichtet. Es standen überraschend wenig Möbel herum, die Wände waren in luftigen Tönen gestrichen, und vor den Fenstern flatterten weiche, dünne Vorhänge.
Hinter ihm lag die merkwürdigste halbe Stunde seines Lebens – wie ein Film von David Lynch, nichts passte zusammen, alles war seltsam. In seinem Magen zuckte ein Knäuel aus Panik und Euphorie. Wie schnell alles gegangen war! Gerade waren sie aus der Hintertür getreten, er und Ian, sie hatten die Sache hinter sich gebracht, ein neues Leben erwartete sie … und Schnitt. Plötzlich lag ein Mann vor ihm auf dem Boden, und er
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