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Der Ausloeser

Der Ausloeser

Titel: Der Ausloeser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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Fäden genäht. Er sah aus wie Dr. Frankenstein, aber alles in allem wirkte es halb so schlimm. Dabei war er gestern halb gestorben vor Angst.
    Erst wusch er sich die Hände, dann das Gesicht, aber sehr vorsichtig. Nach dem Abtrocknen klebte er etwas Mull über die Wunde.
    »Bist ein hübscher Junge«, sagte er zu seinem Spiegelbild – und musste lachen, ein leicht wahnsinniges Lachen. Die Jeans übergestreift, ein schwarzes T-Shirt angezogen, in die Stiefel geschlüpft, und schon trat er hinaus ins schockierend helle Tageslicht.
    Als er endlich auf Jenns Stockwerk angekommen war, stand sie schon in der Tür, in simplen Shorts und einem dünnen Unterhemd. Ihre Haare waren gebürstet, aber nicht gestylt, um die Augen hatte sie dunkle Ringe, doch als sie vortrat, um ihn zu umarmen, leuchteten ihre Wangen. Alex zog sie näher heran, presste sie mit aller Kraft an sich und sog ihren Duft ein.
    Sie erwiderte seine Umarmung, wirkte dabei jedoch ein klein wenig befangen – wie immer, wenn sie unter Beobachtung standen. Im selben Moment sah er Mitch hinter ihrer Schulter auftauchen, in denselben Klamotten wie gestern Nachmittag.
    »Scheiße, bin ich froh, dich zu sehen«, sagte Mitch und streckte die Hand aus.
    Alex ließ Jenn los und packte seine Hand, zog ihn an sich und umarmte ihn. »Geht mir genauso, Kumpel. Geht mir genauso.«
    Mitch klopfte ihm auf den Rücken, und beide lachten. Auf einmal waren alle Sorgen, alle Angst verflogen.
    »O Gott …«, flüsterte Jenn und fasste nach seinem Gesicht, hielt aber einen Zentimeter vor seinem Auge inne. »Was   … «
    »Ist halb so wild. Wie gesagt, waren nur ein paar Stiche. Apropos … Wo ist der alte Hungerhaken eigentlich?«
    »Hier.«
    Eine Stimme in seinem Rücken. Alex drehte sich um – Ian stieg gerade die Treppe herauf, wie aus dem Ei gepellt in Anzughose und Sakko, aber ohne Krawatte. Mit jedem Schritt wurde er langsamer, als würde er bei der ersten knarrenden Stufe die Flucht ergreifen. »Ich …« Er fuhr sich durch die Haare und ließ die Arme hängen. »Ach scheiße, Mann, es tut mir leid. Es tut mir echt leid.«
    Alex’ Augen verengten sich. Er ballte die rechte Hand zur Faust, trat drei Schritte vor und   …
    »Nein, Alex!«
    …und fiel seinem Kumpel um den Hals, zerrte ihn an sich und umarmte ihn. Der Typ wog praktisch nichts. Unter dem Sakko fühlte Alex bloß Haut und Knochen.
    Zuerst wusste Ian nicht so recht, wie ihm geschah, doch dann spürte Alex, wie sich seine Arme um seinen Rücken schlossen. »Mann, ich hätt mir fast in die Hose gemacht.«
    »Dachtest du echt, ich hau dir eine rein?« Alex schüttelte den Kopf. »Ich bin viel zu erleichtert, dass du in Ordnung bist.« Er trat einen Schritt zurück und blickte in die Runde. »Dass ihr alle in Ordnung seid.«
    Mitchs Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. »Mehr als das.« Er schaute sich um, griff hinter die Tür und zauberte einen großen Gefrierbeutel hervor, eine Tüte, in der man für gewöhnlich ein halbes Huhn oder dergleichen aufbewahrte. Doch in dieser Tüte lagerten mehrere dicke Bündel grüner Scheine.
    »Ach du Scheiße.«
    »Davon gibt’s noch drei.«
    »Mein Gott.« Wie gebannt starrte Alex auf die Tüte. Das war es – alles, was er brauchte, sein ganzes Leben. Seine Tochter, sein neuer Job, ein Neuanfang. In einer einzigen Ziploc-Tüte. Irgendetwas pulsierte durch seinen Körper, etwas Heißes und sehr, sehr Glückliches, das sich schließlich in einem breiten Grinsen Luft verschaffte. »Wir haben’s geschafft, verdammte Scheiße, wir haben’s geschafft.« Er musste lachen, die anderen stimmten ein, und am Ende johlten sie und klopften einander auf die Schulter, als hätten sie die Olympischen Spiele gewonnen.
    Bis Jenn nach ein paar Minuten sagte: »Gehen wir besser mal rein. Wir haben einiges zu besprechen.«
    Sofort sanken sämtliche Mundwinkel herab. Zwei laute Schüsse schienen von den kahlen, weißen Wänden widerzuhallen. Alex richtete sich auf und atmete tief ein. »Hast recht. Was ist da eigentlich passiert?«
    Jenn konnte dabei zusehen, wie sich Alex’ gute Laune in Luft auflöste. Die Stimmung im Raum begann zu kippen. Plötzlich wusste sie nicht mehr, was sie mit den Händen anstellen, wie sie die Beine übereinanderschlagen sollte.
    »Willst du mich   verarschen ?«
    Sie wünschte den Moment ihres Wiedersehens im Hausflur zurück, diesen kurzen, scheinbar zeitlosen Moment. Kurz darauf war es steil bergab gegangen. Es war schon merkwürdig genug,

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