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Der Ausloeser

Der Ausloeser

Titel: Der Ausloeser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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zuletzt, und das war eigentlich das Beste, wie sie sich an ihn geschmiegt hatte und eingeschlafen war, wie sie ihren samtweichen Körper gegen seinen gedrückt hatte, dazu der Duft ihres Haars, ein Hauch von Kakaobohnen, während er das wunderbare Gefühl genoss, tatsächlich bekommen zu haben, was er sich immer gewünscht hatte.
    Jetzt, in ihrem dunklen Schlafzimmer, musste er lächeln. Er lächelte nur für sich selbst und für niemanden sonst, er lächelte, weil er glücklich war. Ein Luxus, der ihm bisher viel zu selten gegönnt war.
    Aber wenn das hier real war, dann war auch alles andere real.
    Sein Lächeln verschwand. Für einen Moment war er zurück in der Gasse, roch er wieder das Gemisch aus Müll und Abgasen, hörte er wieder die spanischen Schnulzen aus dem blechernen Radio. Für einen Moment sah er wieder diesen Mann, der vor ihm auf dem Boden lag und ihn anstarrte.
    Mitch schüttelte das Laken ab, schwang die Beine aus dem Bett und hockte sich auf die Kante. Dämmriges Licht drang durch die Vorhänge und färbte seine Schenkel silbern. Er rieb sich die klebrigen, verschlafenen Augen.
    Was hast du nur getan?
    Ein jäher, heftiger Gedanke, wie ein plötzlicher Schüttelfrost. Seine Brust verkrampfte sich, Panik durchflutete ihn, erst kalt, dann heiß. Der hilflose Mann auf dem Boden. Die zusammengebissenen Zähne. Das schmerzverzerrte Gesicht.
    Als Kind hatte Mitch einmal ein Luftgewehr geschenkt bekommen. Monatelang hatte er damit auf Flaschen geschossen, und eines schönen Tages hatte sein Kumpel … Mein Gott, wie hieß er noch mal? Er war blond und hatte strahlend weiße Zähne, ein Junge, aus dem eigentlich nur ein Footballstar werden konnte … Jedenfalls war sein Kumpel mit Schießen drangewesen, und er hatte nicht auf die Cola-Dose, sondern auf ein Eichhörnchen gezielt, auf ein dürres, struppiges Eichhörnchen, das ihnen von einem Ast aus zugesehen hatte. Mitch wollte ihn noch aufhalten, aber da hatte er schon das sanfte Ploppen gehört, und das Eichhörnchen war vom Ast gefallen. Sein Kumpel und er hatten sich angestarrt, zu Tode erschrocken – nicht so sehr, weil sie etwas Schlimmes getan hatten, sondern weil ihnen die Konsequenzen ihres Handelns so unmittelbar vor Augen geführt wurden. Weil die Welt sofort und unmissverständlich darauf reagiert hatte. Für einen Moment war es totenstill gewesen, bevor sie über den Rasen gelaufen waren, um sich das arme Tier anzuschauen. Das Eichhörnchen hatte noch gezuckt, es hatte sich auf dem Boden gewunden und hilflos mit den Füßchen gerudert, und Mitch hatte dieselbe heißkalte Panik gespürt wie jetzt, obwohl er nicht mal selber abgedrückt hatte, dasselbe verzweifelte Verlangen, den Mord rückgängig zu machen, die Zeit zurückzuspulen …
    Stopp.
    Er schloss die Augen und straffte die Schultern. Atmete langsam durch die Nase ein. Hielt die Luft an. Atmete wieder aus.
    Schalt deinen Kopf ein.
    Er musste sich zwingen, die Dinge logisch zu betrachten. Er hatte kein putziges, flauschiges Eichhörnchen erschossen, kein hilfloses Tierchen, das niemandem etwas zuleide getan hatte. Sondern einen Drogendealer, einen bewaffneten Killer, einen Kriminellen, der sie gesehen hatte, der ihr Leben zerstören würde, ohne mit der Wimper zu zucken. Der sie umbringen würde, ihn, Jenn, die anderen, alle. Er hatte keine Wahl gehabt. Nicht wirklich.
    Aber was hattest du überhaupt dort verloren?
    Diese Frage war leicht zu beantworten. Er hatte es drauf ankommen lassen – weil er hinter etwas her gewesen war, das er unbedingt haben wollte. Nicht nur das Geld, nein, auch Respekt. Sowohl den Respekt der anderen als auch Respekt gegenüber sich selbst. Und hatte er nicht getan, was er versprochen hatte? Hatte er nicht von Anfang an befürchtet, dass es auf so etwas hinauslaufen könnte? Er hatte Jenn beschützt. Wäre er neulich, bei dem entscheidenden Abendessen, einfach gegangen, wäre sie mit Ian allein gewesen. Also praktisch ganz allein.
    Was du getan hast, tun andere Leute jeden Tag. Nicht unbedingt mit Waffen, aber ist das so ein großer Unterschied? Dieselben Leute, denen du die Tür aufhältst, die dir drei Dollar Trinkgeld geben, bevor sie sich ein Abendessen für dreihundert Dollar reinziehen. Glaubst du ernsthaft, die nehmen sich nicht, was sie wollen? Ohne Rücksicht auf Verluste?
    Und deshalb müssen sie auch keine Türen aufhalten.
    Neben ihm raschelte die Decke. Als er sich vorsichtig umdrehte, sah er, wie Jenn sich auf die andere Seite kuschelte und

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