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Der Ausloeser

Der Ausloeser

Titel: Der Ausloeser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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ein paar stumme Traumworte murmelte. Sie hatte sich eng ins Laken gewickelt, der Stoff spannte sich über ihre Hüften. Ihr Haar floss über ihren schneeweißen Rücken und verteilte sich auf dem Kissen. Bei Tag war sie stark und sexy und dynamisch, aber wenn sie schlief … Mein Gott, wenn sie schlief war sie wie aus Porzellan, wie eine Orchidee, unglaublich zerbrechlich und unerträglich liebenswert.
    Das gestern in der Gasse hatte nichts mit seinem Leben zu tun. Das hier, dieser Moment, das war die Wirklichkeit, das wollte er, das brauchte er, und vielleicht hatte er es sogar verdient. Er gehörte zu den Guten. Er tat niemandem weh, er brach weder Gesetze noch Herzen. Trotzdem, was er gestern getan hatte, war der Endpunkt einer Entwicklung gewesen. Einer Entwicklung, die vor ein paar Tagen begonnen hatte, als er endlich angefangen hatte, sich zur Wehr zu setzen, sich nicht mehr jeden Scheiß gefallen zu lassen. Als er endlich Anspruch auf seinen Platz in der Welt erhoben hatte.
    Eigentlich keine große Sache, aber was hatte es ihm nicht alles eingebracht. Er sah sich um. Es war nicht zu fassen.
    Du musst es verdrängen. Vergrab es irgendwo ganz tief unten, und rühr es nie mehr an. Passiert ist passiert. Aber was von nun an geschieht, wer du von nun an bist, liegt in deiner Hand. Und eins darfst du nie vergessen: Hättest du es nicht getan, wärst du dann hier bei ihr?
    Mit einer Klarheit, die nur in der Stille der Nacht möglich war, wusste er: Nein.
    Mitch atmete tief ein, ehe er sich behutsam zu ihr legte, unter die Decke, und sich von hinten an sie schmiegte, an ihren warmen, weichen Körper. Als er sie am Arm berührte, murmelte sie irgendetwas vor sich hin und zog ihn näher heran.
    Und kaum hatte er die Augen geschlossen, war er eingeschlafen.

16
    »SIE HABEN … EINE … NEUE NACHRICHT UND … VIER … GESPEICHERTE NACHRICHTEN. DRÜCKEN SIE DIE EINS, UM DIE NEUEN …«
    Kurz nach zwei Uhr nachts. Alex war endlich zu Hause. Er drückte die Eins und hielt sich das Telefon ans Ohr.
    Jenn – sie klang munter, direkt fröhlich, aber Alex erkannte sofort, dass ihre Fröhlichkeit erzwungen war. Als würde jemand lauschen. »Hey, Alex, wo steckst du denn? Wir dachten, du meldest dich heute Abend mal! Na ja, wahrscheinlich hast du zu tun. Egal, wir drei treffen uns jedenfalls morgen früh bei mir zum Frühstück. Wär schön, wenn du auch vorbeischauen könntest. Gibt einiges zu erzählen. Okay, ich hoffe, dir geht’s gut, und bis bald!«
    Alex spürte, wie sich etwas in seiner Brust, in seiner Lunge löste, ein dicker, giftiger Nebel, der ihm die Luft abgeschnürt hatte. Mit einem Ächzen presste er das ganze Zeug heraus. Drei, hatte sie gesagt,   wir drei   treffen uns zum Frühstück. Sein Körper entspannte sich. Er hatte noch immer keine Ahnung, was in der Gasse passiert war, aber offenbar hatte es keinen seiner Freunde getroffen. Gott sei Dank.
    Vielleicht würde doch noch alles gut werden.
    Er wählte ihre Handynummer. Das Freizeichen, gefolgt von der Mailbox. Er legte auf und probierte es noch einmal. Wieder die Mailbox. Also hinterließ er ihr eine Nachricht – klar würde er zum Frühstück kommen – und kroch ins Bett. Und flüchtete sich in die tröstliche, traumlose Dunkelheit.
    Als er einige Stunden später aufwachte, tastete er zuerst nach den Schmerztabletten, stopfte sich zwei in den Mund und spülte sie mit einem lauwarmen Schluck Wasser herunter. Dann richtete er sich auf und rief Jenn an.
    »Hallo?« Sie klang schläfrig, als wäre sie noch nicht ganz da.
    »Ich bin’s.«
    »Alex? Wie geht’s dir?«
    »Ich war im Krankenhaus, aber keine Sorge, mir geht’s gut. Waren nur ein paar Stiche, und die Kopfschmerzen werden schon wieder weggehen. Bei euch?«
    »Mir … uns … geht’s gut. Aber es ist … Kannst du vorbeikommen?«
    »Wann?«
    »In einer Stunde? Ich sag Ian Bescheid.«
    »Okay. Ich ruf Mitch an.«
    Ein kurzes Zögern. »Lass mal, ich mach das schon.«
    »Auch gut. Also bis gleich.« Er klappte das Telefon zu und richtete sich vorsichtig auf. Trotzdem wurde ihm sofort schwindlig, als das Blut aus seinem Kopf nach unten sackte.
    Während er das Wasser laufen ließ und darauf wartete, dass es warm wurde, riskierte er einen Blick unter das Pflaster. Es blieb an der zerfetzten Haut haften, doch er biss die Zähne zusammen, zerrte es mit einem Ruck herunter und blinzelte in den Spiegel: ein zweieinhalb Zentimeter langer, violett angeschwollener, ausgefranster Schnitt, mit schwarzen

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