Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
Vom Netzwerk:
beweisen.«
    Andrew schwieg und wartete ab. »Warum sind Sie gekommen?«, fragte er schließlich. »Ich mag ja in mancher Hinsicht ein Weichei sein, Louise, aber ich bin kein Schwachkopf. Haben Sie im Ernst erwartet, ich würde Ihnen diesen Unsinn glauben?«
    »Was gibt’s daran nicht zu glauben?«
    »Dass Grace Cill in ihrem Haus behalten hätte, als die Polizei nach ihr suchte. Die Polizei hat am Samstagmorgen angefangen, die Leute nach Cill zu 493

    befragen. Unter diesen Umständen hätte Grace sie niemals bei sich versteckt gehalten.«
    Louise zuckte mit den Schultern. »Vielleicht war sie da schon tot.«
    »Unmöglich«, widersprach er mit Überzeugung.
    »Beim Prozess gab es zwar eine Diskussion über die Todeszeit, aber es ging da um eine Diskrepanz zwischen vierundzwanzig und achtundvierzig Stunden.
    Nach Ihrer Darstellung hätte Grace aber schon am Samstag, als die Polizei mit der Fahndung nach Cill begann, tot sein müssen – das heißt, ihre Leiche hätte beinahe eine Woche lang im Haus gelegen, bevor sie gefunden wurde.« Er schüttelte den Kopf.
    »Ausgeschlossen. Da wäre die Verwesung viel weiter fortgeschritten gewesen.«
    »Das ist nicht mein Problem«, sagte sie gleichgültig. »Ich erzähle Ihnen, wie es war. Wie alles zusammenpasst, müssen Sie schon selbst rauskriegen.«
    Er lachte kurz auf. »Dann ist es schade, dass Sie Ihre Geschichte nicht den Fakten angepasst haben, bevor Sie bei mir aufgekreuzt sind. Beginnen wir bei Cill. Wenn Sie wussten, wo sie war, warum haben Sie nicht die Polizei informiert?«
    »Sie hätte mich umgebracht.« Sie beugte sich vor, um ihre Zigarette auszudrücken. »Ich hab Ihnen doch gesagt, dass sie total irre war. Wenn die Bullen sie da mit Gewalt rausgezerrt und zu ihrem Vater zurückgebracht hätten, hätte sie mir 494

    bei der nächsten Gelegenheit aufgelauert und mir die Augen ausgekratzt.«
    »Warum haben Sie der Polizei dann von der Vergewaltigung erzählt?«
    »Weil sie wissen wollten, wie es zu der Prügelei zwischen mir und Cill gekommen war. Außerdem
    hab ich mir gedacht, wenn die Polizei wüsste, dass sie vergewaltigt worden war, und das Jugendamt einschalten würde, könnte ihr Vater ihr nichts mehr tun.« Ihr Gesicht wurde beinahe traurig.
    »Ich wollte ihr helfen, auch wenn es so, wie alles gelaufen ist, nicht danach ausschaut. Man darf das nicht mit dem Blick von heute sehen, man muss sich vorstellen, wie es damals war. Ich hatte doch keine Ahnung, ich dachte, Cill würde brav wieder heimgehen, wenn ihr langweilig würde, und das wär’s dann. Ich hatte keine Ahnung, dass sie spurlos verschwinden und Grace sterben würde.
    Niemand konnte das ahnen.«
    Da hatte sie Recht, das musste man ihr zugestehen.
    »Aber woher wussten Sie, dass Cill bei Grace im Haus war?«
    »Gleich nachdem ihre Mutter angerufen hatte, um zu fragen, ob sie bei uns wäre, bin ich losge-gangen und hab nachgeschaut. Wir sind immer durch die Tür hinten im Zaun in den Garten und dann durch die Küchentür ins Haus. Ich habe sie durch das Fenster beobachtet, wie sie sich mit Eis voll gestopft hat.«
    495

    »Haben Sie mit ihr gesprochen?«
    »Natürlich nicht. Sie hätte mich fertig gemacht.
    Schließlich hatte die Brett, diese Kuh, sie meinetwegen vom Unterricht ausgeschlossen.«
    »Und Grace?«
    »Habe ich nicht gesehen.«
    »Howard?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Um welche Zeit waren Sie dort?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »So um neun.«
    »Morgens oder abends?«
    »Am Morgen. Zwei Stunden später war ich auf der Polizei und bin gegrillt worden.«
    Es klang überzeugend, aber Andrew wusste, dass er nicht gerade ein großartiger Menschenkenner war. Von Frauen hatte er sich immer schon leicht aufs Glatteis führen lassen. Er konnte nicht vergessen, dass Louise zu der Zeit, von der sie erzählte, erst dreizehn Jahre alt gewesen war und – wenn man der ehemaligen Schuldirektorin glauben konnte – nicht sehr intelligent. »Hatten Sie vorher schon einmal mit der Polizei zu tun gehabt?«, fragte er.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass man mit dreizehn so kühn ist, der Polizei nicht die Wahrheit zu sagen.«
    In ihren Augen funkelte Verachtung, aber ob Geringschätzung über die Zaghaftigkeit Andrews als kleiner Junge dahinter steckte oder Ungeduld über seine Fragen, konnte er nicht erkennen. »Die 496

    meiste Zeit hat meine Mutter geredet, und sie war stinkwütend, dass irgendjemand auf den Gedanken kommen konnte, wir wüssten, wo Cill zu finden war, und würden es nicht

Weitere Kostenlose Bücher