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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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wären in Australien. Aber auf dem Foto hat er Sie nicht wiedererkannt – zumindest hat er so getan, als würde er Sie nicht erkennen.«
    Sie leerte ihr Glas mit einem Zug und stellte es auf den Couchtisch. Vornübergebeugt und den Blick zu Boden gerichtet, sagte sie: »Billy ist ganz okay – bloß sieht er immer nur das, was er sehen will. Der würde sogar einen Elefanten, der sich auf sein Bett hockt, erst bemerken, wenn er ihn platt drückt.« Sie gab sich schweigend dem Genuss ihrer Zigarette hin.
    Merkwürdiges Bild, dachte Andrew, als er nach der Flasche griff und ihr nachschenkte. Sie schien es nicht zu bemerken.
    »Ich hab diese alte Hexe gehasst«, sagte sie plötzlich. »Immer hat sie Cill in ihr Büro kommen lassen, um sie runterzuputzen, aber da war nie viel dahinter – alle haben gewusst, dass sie sie mag.
    In Wirklichkeit hat sie mich fertig gemacht. Alle denken immer, so eine Strafpredigt wäre was Schlimmes, aber es ist viel schlimmer, wenn ständig das Gift tropft. Sie hat Cill immer vorgehalten, sie wäre viel zu intelligent, um sich mit meinesglei-chen abzugeben – und zu mir hat sie gesagt, ich wäre strohdumm und würde die anderen nur mit mir runterziehen. Aber das stimmte gar nicht. Cill war eine Irre – sie hat mal eine Zigarette auf meinem Arm ausgedrückt, als ich zu ihr gesagt habe, sie soll sich schleichen.«
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    Andrew vermutete, dass mit »alte Hexe« Hilda Brett gemeint war. »Was hat Miss Brett denn nach diesem letzten Streit mit Cill zu Ihnen gesagt?«
    »Das Übliche«, antwortete sie zynisch. »›Du bist ein völlig missratenes Kind, Louise Burton. Aber eines Tages wirst du schon deine gerechte Strafe bekommen. Du hast diesen Streit mit Absicht provoziert, um Cill in Schwierigkeiten zu bringen.‹
    Diese blöde Kuh! Die war garantiert lesbisch.«
    »Hatte sie Recht mit ihrer Vermutung? Hatten Sie den Streit provoziert?«
    Ein Schimmer der Erheiterung blitzte in Louises Augen, als sie aufblickte. »Was glauben Sie?«
    »Ja.«
    Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Es hat Cill recht geschehen. Was ich mir von der wegen der Vergewaltigung alles anhören musste! Warum ich sie nicht verteidigt hätte. Warum ich nicht geschrien hätte. Warum Billy nichts getan hätte.
    Warum ich immer zu ihr sagen würde, sie soll’s vergessen.« Die glitzernden kleinen Augen fixier-ten Andrew einen Moment, bevor ihr Blick abglitt.
    »Dabei war’s überhaupt gar nicht so schlimm –drei mickrige kleine Vierzehnjährige, die ihn nicht mal fünf Sekunden lang hochkriegten. Okay, sie haben sie ein bisschen getreten, aber das war’s auch schon.« Louise stieß ihre Zigarette in den Aschenbecher und zündete sich sofort die nächste an. »Sie hat eine Scheißangst gehabt, dass sie 488

    schwanger sein könnte, aber nicht mal dazu ist es gekommen. Zehn Tage später hat sie ihre Periode bekommen und hat es mir auch gleich unter die Nase gerieben, weil sie wusste, dass ihr nichts mehr passieren konnte.« Sie schwieg, offenbar in Erinnerungen vertieft.
    »Was ist ihr zugestoßen?«
    Sie brauchte keine Zeit zum Überlegen. »Ihr Vater hat sie wegen der Prügelei mit mir verdroschen, da hat sie sich bei Grace versteckt.« Sie quittierte seine Miene mit einem sauren Lächeln. »Das wollten Sie doch hören, oder? Wir sind immer zu Grace gegangen, wenn uns nichts Besseres eingefallen ist.
    Sie hat uns den ganzen Tag fernsehen lassen, wenn wir ihr ein paar blaue Flecken zeigen konnten.«
    Andrew wartete, und als sie nicht weitersprach, sagte er: »Das müssen Sie mir schon näher erklären. Ich verstehe den Zusammenhang zwischen dem Fernsehen und den blauen Flecken nicht.«
    Sie krempelte den Ärmel ihrer Bluse hoch. »So wie hier.« Sie zeigte ihm einen nackten Unterarm voll bläulich-violett verfärbter Striemen. »Wenn man davon genug vorzeigen konnte, durfte man sich auf ihr Sofa hauen und bis in die Puppen glotzen – ich meine, wenn man Bock drauf hatte.« Sie befeuchtete eine Fingerspitze und rieb einen wei-
    ßen Streifen durch die Striemen. »Lidschatten«, erklärte sie kurz. »Sehr wirkungsvoll, nicht? Ich hab ihn draußen im Auto aufgetragen, bevor ich 489

    reingekommen bin. Grace ist jedes Mal drauf reingefallen.«
    Andrew trank langsam einen Schluck von seinem Margaux. »Warum?«
    »Die Frau war schwachsinnig – genau wie ihr dämlicher Enkel. Cill und ich konnten die beiden um den Finger wickeln.« Sie hielt inne und wartete auf eine Reaktion von ihm. »Cill hat angefangen«,

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