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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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stehen würde, würden Sie keine Ähnlichkeit sehen. Bis auf die Haare vielleicht. Und dafür ist meine Mutter verantwortlich.
    Sie hat sie mir gefärbt, weil sie nach dem Umzug keine peinlichen Fragen wollte. Jetzt kennen mich alle nur noch als brünett« – sie lachte dünn –,
    »und ich bin zu eitel, um das Grau durchkommen zu lassen.«
    »Aber Sie nennen sich Priscilla«, erinnerte er sie.
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    Sie stand auf und knöpfte ihre Jacke zu. »Ja, das stimmt. Ich hätte es wohl besser gelassen«, sagte sie. »George hätte nicht so hartnäckig weiterge-bohrt, wenn ich bei Daisy geblieben wäre.« Sie steckte ihre Zigaretten ein. »Ich hab mich Priscilla genannt, als ich meinen jetzigen Mann geheiratet habe.«
    Andrew stand ebenfalls auf. »Warum?«
    »Es klang schick«, antwortete sie mit einer merkwürdigen Wehmut. »Eigentlich pervers, wenn man bedenkt, was Cill passiert ist.« Sie ging zur Tür.
    »Miss Brett hatte wahrscheinlich Recht.«
    Er eilte ihr voraus, um die Tür zu öffnen.
    »Womit?«
    »›Es ist typisch für Louise Burton, dass sie erst spricht und dann nachdenkt‹«, sagte sie mit einem verzerrten Lächeln. »Die Geschichte meines Lebens.« Überraschend herzlich bot sie ihm die Hand. »Ich hoffe, Sie sind einer von den Guten.
    Sonst muss ich am Ende auch diesen Besuch bereuen.«
    Er hielt ihre Hand einen Moment fest. »Können Sie noch fahren?«
    »Das will ich doch hoffen.«
    Sie ließ ihm keine Zeit zu einer Erwiderung, sondern wandte sich ab und ging die schmale Gasse hinauf. An der Ecke blickte sie noch einmal zu ihm zurück, ihr blasses Gesicht vom Licht einer Straßenlampe beleuchtet. Es war unmöglich, aus 508

    dieser Entfernung seinen Ausdruck zu erkennen, aber er sah deutlich, wie sie kurz die Hand hob und ihm winkte. Er hatte keine Ahnung, ob irgendetwas von dem, was sie ihm erzählt hatte, der Wahrheit entsprach, aber als er den Abschiedsgruß erwiderte, wurde er sich verwundert bewusst, wie gern er ihr glauben wollte.
    Jonathan saß im Bett und korrigierte die Haus-arbeiten seiner Studenten, als um halb zwölf das Telefon läutete. Im ersten Augenblick hoffte er, es würde Emma sein, aber dann hörte er die Stimme Andrews, der in heller Aufregung von irgendetwas erzählte, was angeblich »höchste Bedeutung« hatte.
    Sein Verhalten war so untypisch, dass er annahm, der Freund sei betrunken, und ihn aufforderte, am nächsten Morgen wieder anzurufen. Doch Andrew bestand darauf, ihm die wesentlichen Punkte seines Gesprächs mitzuteilen, solange er sie noch frisch im Gedächtnis hatte. »Sie war ziemlich überzeugend«, sagte er.
    »Wer?«
    »Priscilla Fletcher. In Lebensgröße bei mir zu Hause und nannte sich Louise Burton.«
    »Ach?«, sagte Jonathan verblüfft.
    »Genau. Also, nimm Papier und Stift, du Faulpelz, und schreib mit.«
    »Wieso kannst du das nicht selbst aufschreiben?«
    »Weil ich nur ein Zehntel deiner Einkünfte 509

    bekomme und keine Lust habe, die ganze Arbeit allein zu tun.«
    »Du klingst aber gar nicht lustlos«, stellte Jonathan trocken fest und griff zu einem Schreibblock. »Was hat sie denn mit dir angestellt?«
    »Sie hat mich behext«, antwortete Andrew knapp.
    Jonathan erinnerte sich der Samariternummer am Bahnhof Branksome. »Und was hat sie mitgenommen?«
    »Zuversicht.«
    »Wenn Cill wirklich bei Grace im Haus war, dann kommt sie natürlich für den Mord in Frage«, sagte Jonathan nachdenklich. »Sie war groß und kräftig für ihr Alter, sie war da, sie hatte Probleme –eine Vergewaltigung, möglicherweise sexueller Missbrauch über längere Zeit hinweg –, und sie war mitten in der Pubertät, wo die Hormone bekanntermaßen verrückt spielen. Unter solchen Umständen kann alles Mögliche passieren.« Er klopfte sich mit dem Stift gegen die Zähne. »Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass Grace sie ausquartieren wollte, weil sie vor der Polizei Angst hatte, und Cill wütend wurde und Grace angegriffen hat. Zeitlich würde es hinkommen. Sie hat sich bei Grace über das Wochenende versteckt, die alte Frau am Montag getötet und ist dann in der Nacht abgehauen. Das würde erklären, warum niemand 510

    sie in den ersten Tagen gesehen hat … es ist allerdings merkwürdig, dass sie auch später nicht zufällig irgendwo gesehen worden ist.«
    Andrew gähnte. »Wer hat das Bad genommen und die roten Haare zurückgelassen?«
    »Passe.«
    »Was hältst du von der Geschichte, dass Howard in Cill verliebt war? Es klang ziemlich einleuchtend. Sie war ein

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