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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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steckten ein Mann und eine Frau mittleren Alters tuschelnd die Köpfe zusammen. Alle drei sahen zur Tür, als Jonathan eintrat, aber das Ausbleiben jeglicher Reaktion verriet ihm, dass keiner der beiden Männer George Gardener war. Eine Bedienung war nicht zu sehen. Er warf einen Blick in den Nebenraum, aber der war leer bis auf einen Billardtisch. Die ganze Speisekarte, an einem Holzpfosten festgeheftet, schien aus einer Liste verschiedener Sandwiches 104

    zu bestehen; das Weinsortiment aus zwei Flaschen neben der Kasse. Es war eine Kneipe mit billigem Bier und ohne Schnörkel, und er fragte sich, wer so einen Ort für ein Zusammentreffen wählte.
    Wahrscheinlich ein alter Sozialist, dachte er missmutig, der immer noch den Klassenkampf ausficht.
    Nass und durchgefroren zog er seinen Regenmantel aus und stellte sich an den Tresen. Dann nahm er einer verspäteten Überlegung folgend seine Brille ab und steckte sie in die Brusttasche. Aber sein intellektuelles Aussehen hätte seine geringste Sorge sein können. Der Fehler war der Designeranzug mit dem Designerhemd. Er sah aus wie der Pfau im Hühnerstall, im Crown and Feathers so fehl am Platz wie der alte Biertrinker neben ihm es in Covent Garden gewesen wäre. Er nahm wahr, dass der Alte von seinem Hocker rutschte, um näher zu rücken, und mied geflissentlich seinen Blick. Er hatte für Smalltalk nichts übrig – ihm fehlte das Talent dazu –, schon gar nicht mit einem Fremden, der von Bier zu leben schien. Die mit Altersflecken gesprenkelten Hände zitterten so stark, dass der Alte beide brauchte, um sein Glas zu heben.
    »Ihre Sorte kriegen wir hier selten zu sehen.«
    Jonathan ignorierte ihn. Man musste kein Genie sein, um zu wissen, was er mit »Ihre Sorte« meinte, und er fragte sich, wieso es eigentlich immer die Alten waren, die solche Sprüche vom Stapel ließen.
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    Ein knochiger Finger stach ihn in den Arm. »Ich rede mit Ihnen.«
    Jonathan stellte seine lederne Aktentasche auf den Boden und zog seine Zigaretten aus der Tasche seines Regenmantels. »Was für eine Sorte meinen Sie?«, fragte er, den Kopf zum Feuerzeug hinun-tergeneigt. »Männer, die Anzüge tragen?« Er richtete seinen Blick demonstrativ auf den bohrenden Finger. »Oder Männer mit sehr kurzer Lunte?« Er ballte seine rechte Hand zur Faust und legte sie auf den Tresen.
    Der Alte, der vielleicht den Siegelring für einen Schlagring hielt, wich zurück. »Der Wirt ist hinten«, sagte er. »Ich sag ihm immer wieder, dass ihm Gäste durch die Lappen gehen, aber der hört nicht auf mich. Vor Ihnen waren schon zwei da, die wieder gegangen sind.«
    »Hm.«
    »Bedienen Sie sich einfach selbst. Roy hat nichts dagegen – solange Sie bezahlen.«
    »Hm.«
    »Vielleicht mögen Sie kein Ale? Trinken lieber was andres.«
    »Hm.«
    »Ein Vielredner sind Sie nicht gerade. Hat’s Ihnen die Sprache verschlagen?«
    Jonathan nahm sich zusammen. Der Alte konnte
    ja nichts dafür, dass er für diesen Anlass viel zu elegant gekleidet war. Er hätte sich Spielraum las-106

    sen sollen, um vor der Oper nach Hause zu fahren und sich umzuziehen. »Ich habe es nicht eilig. Ich bin hier mit einem Mann namens George Gardener verabredet. Vielleicht kennen Sie ihn? Er sitzt im Stadtrat.«
    In den wässrigen alten Augen blitzte Belustigung auf, vermutlich, weil er sich die beiden zusammen vorstellte, den Uraltsozi und den Pfau. Nicht eben eine glückliche Paarung. »Vielleicht.«
    »Ist er hier Stammgast?«
    »Kommt zweimal die Woche her. Sitzt da drüben und hört sich das Gejammer der Leute an.«
    Er wies mit dem Kopf zu einem Tisch am Fenster.
    »Sprechstunde nennt sich das dann. Eine gottverdammte Zeitverschwendung, wenn Sie mich fragen.
    Wie soll ein Stadtrat die Sozialleistungen erhöhen, hm? Das ist Sache der Regierung.«
    Jonathan nickte unverbindlich.
    »Die sollten lieber ihre Ärsche heben und sich Arbeit suchen«, schimpfte der Alte. »Jemandem, der nichts tun kann, die Ohren volljammern, bringt überhaupt nichts.«
    »Nein.«
    »Was wollen Sie denn von George? Suchen Sie eine Wohnung?«
    »Nein.«
    »Da können Sie froh sein. Die, die es sich leisten können, kaufen die Sozialwohnungen auf … die anderen, so wie ich, die keinen Penny in der Tasche 107

    haben, knien nieder und beten, dass sie nicht raus-geschmissen werden.« Er starrte in sein Bier. »Das ist nicht recht.«
    »Nein.«
    Streitlust flammte plötzlich auf, als reizte ihn Jonathans Einsilbigkeit. Vielleicht lag es aber auch an der Kälte

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