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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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im Lokal – es schien keine Heizung zu geben. »Was wissen Sie denn schon?«, knurrte er. »Wo kommen Sie überhaupt her?«
    »Aus London.«
    Der Alte prustete geringschätzig. »Könnte genauso gut Timbuktu sein.«
    »Mit dem Zug sind es nur zwei Stunden«, sagte Jonathan ruhig. »Ich habe die Reise heute Morgen gemacht. So schwierig war es gar nicht.«
    Das brachte ihm einen argwöhnischen Blick ein.
    »Machen Sie sich über mich lustig?«
    »Nein.«
    »Das würde ich Ihnen auch nicht raten. Ich hab im Krieg meinen Kopf hingehalten, damit Leute wie Sie was werden können. Ich hab Orden dafür gekriegt.«
    Jonathan zog nachdenklich an seiner Zigarette.
    Das Vernünftigste wäre es gewesen, sich an einen der Tische zurückzuziehen, aber diese Genugtuung wollte er dem alten Raubein nicht geben. Er ver-abscheute das hohe Alter. Es zeichnete sich durch Ungezogenheit und Egozentrik aus und trug nichts zur Weiterentwicklung des Menschen bei. Im 108

    Gegenteil. Mit den maßlosen Forderungen, die es an die nächste Generation stellte, wirkte es sowohl in der Familie als auch in der Gesellschaft zerstö-rerisch.
    Der knochige Finger begann wieder zu stupsen.
    »Hören Sie mir überhaupt zu?«
    Jonathan holte einmal tief Luft durch die Nase, bevor er den Alten am dünnen Handgelenk packte.
    »Das sollten Sie lieber lassen«, sagte er und senkte seine Hand zum Tresen hinunter. »Mir ist kalt, ich bin nass, ich bin müde und nicht besonders gut aufgelegt.« Er lockerte die Umklammerung. »Es tut mir Leid, dass Sie Wohnungsprobleme haben, aber ich kann daran nichts ändern. Ich schlage vor, Sie wenden sich an Ihren Abgeordneten. Ich vermute allerdings, er wird Ihnen sagen, dass Sie Steuer-zahlern wie mir dankbar sein sollen, wenn Sie Ihr Leben lang von der Sozialhilfe gelebt haben.«
    »Sparen Sie sich Ihre Belehrungen«, fuhr der Alte ihn an. »Ich habe meine Rechte. Mehr Rechte als Sie jemals haben werden. Ich bin Christ, o ja, und das hier ist ein christliches Land – oder wäre es, wenn wir nicht von überall die Heiden reinlassen würden.«
    »Belästigt Sie der Mann?«, fragte der stämmige dunkelhaarige Mann, der aus dem Nebenraum trat.
    Jonathan schüttelte den Kopf.
    »Sie hab ich nicht gemeint, Meister. Ich hab mit meinem Stammgast geredet. Grobheit gegen Alte 109

    gibt’s bei mir nicht. Schon gar nicht von hochgestochenen Bimbos im feinen Anzug.«
    Es traf Jon wie ein Schlag in die Magengrube.
    Seit Jahren hatte ihn niemand mehr Bimbo genannt.
    »Das ist ein bisschen hart«, mischte sich der Alte ein. »Der verklagt Sie, wenn Sie nicht Obacht geben, Roy.«
    »Warum hat er Sie am Arm gepackt? Hat er Ihnen wehgetan?«
    »Nein«, sagte der Alte ehrlich. »Es hat ihm nicht gepasst, dass ich ihn gestupst hab.«
    »Dann bitte ich um Entschuldigung. Nichts für ungut«, sagte Roy. Er hob eine Klappe im Tresen und trat hinter die Bar. »Ich hätte ›Schwarzer‹ sagen sollen.« Die Augen aggressiv zusammengekniffen, die Arme fest verschränkt, stand er da, als hätte er nicht die geringste Lust, dem fremden Gast ein Bier zu zapfen. »Was soll’s sein?«
    »Nichts.« Jonathan drückte mit zitternder Hand seine Zigarette im Aschenbecher aus und nahm seinen Regenmantel. »Ich versuche mein Glück lieber in der Stadt.« Er zog eine Karte aus seiner Tasche und warf sie auf den Tresen. »Wenn George Gardener kommt, dann sagen Sie ihm, dass er mich unter dieser Handynummer erreichen kann. Ich bleibe zum Mittagessen in der Stadt, dann fahre ich wieder.«
    Die Miene des Wirts veränderte sich. »Ach, Mist!
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    Sind Sie Jonathan Hughes? Hören Sie, Mann, das tut mir echt Leid. Sie hätten was sagen sollen.«
    »Was denn?«
    »Na, wer Sie sind, Herrgott noch mal. Ich hab einen Weißen erwartet. Weiß George, dass Sie ein Schwarzer sind?«
    Jonathan atmete noch einmal tief durch. »Denken Sie sich nichts.« Er schlüpfte in seinen durchnäss-ten Mantel und nahm seine Aktentasche. »Ich werde es als Erfahrung abhaken.« Er nahm seine Karte an sich und schob sie in die Tasche. »Im Übrigen habe ich es mir überlegt. Sie können Ihrem Freund sagen, dass ich an dem Treffen kein Interesse mehr habe. Mir gefallen seine Bekannten nicht.« Er ging zur Tür.
    Der Wirt rief ihm nach: »Warten Sie, Mann …«
    Aber die Worte verloren sich im Wind, als Jonathan die Tür aufriss und hinausstürmte.
    Nach zweihundert Metern wurde er ruhiger und ging langsamer. Das Gescheiteste war, er folgte seinem eigenen Rat und hakte die ganze Sache als

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