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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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ein Stück Erfahrung ab. So etwas war ihm nicht das erste Mal passiert, und es würde nicht das letzte Mal sein. Sein Pass wurde bei jeder Einreise ins Land von diensteifrigen Beamten der Einwanderungsbehörde geprüft. Er hatte gelernt, den Mund zu halten, besonders seit den Ereignissen des 11. September, aber es erboste ihn trotzdem.
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    Als Kind hatte er jedes Mal, wenn er beleidigt worden war, gekocht vor Hass – rassistische Schweine … dreckiger Abschaum … widerliche Analphabeten … –, aber er hatte die Wörter nie laut ausgesprochen.
    Wenn Andrew zu glauben war, hätte er es tun sollen. Die in der Pubertät unterdrückte Wut hatte zu Verdrängung geführt.
    »Du hast dich nie gegen die Leute gewehrt, die dich fertig gemacht haben. In einem Artikel oder Brief verteidigst du deinen Standpunkt bis aufs Messer, aber du tust es nie von Angesicht zu Angesicht. Weiß der Himmel, warum. Du bist doch eigentlich ziemlich aggressiv – jedenfalls auf Papier.«
    »Ich stelle mich jeden Tag meinen Studenten und Kollegen.«
    »Ja, weil es ungefährlich ist. Du brauchst keine Angst zu haben, dass deine Studenten dich jemals prügeln werden. Du bist zwei verschiedene Personen, Jon. Ein Rottweiler in deiner Fakultät und ein folgsamer Whippet draußen.«
    »Das sind Hunde.«
    »Jetzt fang nicht an, Haare zu spalten. Du schreibst niederschmetternde Kritiken über deine Kollegen – und wirst dafür von deinen Studenten bewundert –, aber vor jeder Konfrontation auf der Straße schreckst du zurück. Du gibst ein Vermögen für elegante Anzüge aus, weil du wahrgenommen 112

    werden willst, und dann ziehst du den Kopf ein und trägst eine Altmännerbrille. Du gehst in die Oper, aber du gehst immer allein, weil du Angst hast, wenn du jemanden einlädst, könnte dich das zu einer Beziehung verpflichten. Es ist jammerschade, dass du nicht mit fünfzehn mal einen Skinhead verdroschen hast. Du unterdrückst deine Gefühle schon so lange, dass du gar keine mehr hast.«
    »Wie kommst du darauf, dass die Weißen das einzige Problem waren? Die Jamaikaner und die Chinesen waren genauso schlimm, und ihre Banden waren größer.« Jonathans Gesicht wurde hart bei der Erinnerung. »Lauter hirnlose Analphabeten, von denen keiner richtig Englisch konnte.« Mit einem zynischen Schulterzucken fügte er hinzu:
    »Versuch mal, in so einem Milieu zu leben, wenn du halb Iraner, halb Libyer bist … mit dunkler Haut, den Gesichtszügen eines Weißen und einem englischen Namen, den dir keiner zutraut. Glaub mir, da kannst du nur den Kopf einziehen und schuften wie ein Irrer, um schnellstens rauszukom-men. Du denkst nicht mal im Traum daran, dich mit einem von denen anzulegen.«
    »Für einen Anthropologen bist du ein ziemlicher Menschenfeind, Jon.«
    »Das hat mit Anthropologie nichts zu tun. Theo-retische Wissenschaft erzeugt keinen Hass.«
    »Was erzeugt ihn dann?«
    Krieg, dachte Jonathan. Seine Wut und seine 113

    Aggression waren sprunghaft gestiegen, seit bei jeder Gelegenheit die Legitimität seines Passes angezweifelt wurde. Ständig begleitete ihn eine unterschwellige Angst, dass er, wenn er ihn verlö-re, alles verlieren würde. Und wie immer klopfte er sich auch jetzt auf die Brusttasche, um sich zu vergewissern, dass er da war. Die Geste war ihm so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie zum nervösen Tick geworden war.
    Ein Auto fuhr neben ihn an den Gehweg heran, ein museumsreifer Mini Cooper mit Türmen von Büchern und Akten auf dem Rücksitz. Die Fahrerin kurbelte ihr Fenster herunter und rief mit aufgeregter Stimme: »Entschuldigen Sie – entschuldigen Sie! Sind Sie Jonathan Hughes?« Die Stimme schwoll zu ohrenbetäubender Schrillheit an. »Bitte entschuldigen Sie! Es tut mir Leid!«
    Jonathan ignorierte sie.
    Er hörte das Krachen der Gangschaltung, als sie anfuhr und auf der falschen Straßenseite die Verfolgung aufnahm. »Bitte bleiben Sie doch stehen!«, schrie sie, während sie um einen geparkten Wagen herumfuhr, um ihn zu überholen. »O Gott, Hilfe!« Ihr Schreckensschrei erreichte ihn in dem Moment, als aus dem dichten Schneeregen vor ihr ein Lieferwagen auftauchte und sie hart auf die Bremse trat.
    Er kniff in kopfschüttelnder Ungläubigkeit die Augen zusammen und wartete auf das Unvermeid-114

    liche. Aber sie hatte Glück. Der Fahrer des Lieferwagens reagierte so prompt wie sie und brachte sein Fahrzeug einen knappen Meter vor ihrer Stoßstange zum Stehen. Was er hinter geschlos-senen Scheiben mit

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