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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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abgetragener gelber Pullover mit Autoschmiere auf der Brust und schmuddelige graue Leggings zum Vorschein, die in ihre Stiefel hineingestopft waren. »Und ich habe zurzeit Nachtdienst, darum bin ich erst gegen elf aufgewacht. Ich wollte nach dem Auto sehen, bevor ich mich stadtfein mache, und als es dann nicht ansprang …« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich finde ja auch, dass man sich aus Höflichkeit dem anderen gegenüber anständig 132

    anziehen sollte, Dr. Hughes, aber mir fehlte die Zeit zum Umziehen. Ich hatte gehofft, Sie wären ein kurzsichtiger, alter Professor – und es würde Ihnen nicht auffallen.«
    Ihr Haar sah eher aus, als litte es unter den Nachwirkungen einer Chemotherapie, und es hätte ihn interessiert, ob zur »stadtfeinen« Aufmachung eine Perücke gehörte.
    Er stand auf und zog den anderen Sessel weiter vor. »Ich habe nur deshalb einen Anzug an, weil ich heute Abend in den Falstaff von Verdi gehe, Miss Gardener.« Mit einem Lächeln setzte er sich wieder, aber es war ein Höflichkeitslächeln und kein Ausdruck der Freundschaft. »Sagen wir einfach, dass der erste Eindruck manchmal trügt, und lassen Sie uns loslegen.«
    Ihr Enthusiasmus kehrte augenblicklich zurück.
    »Ach, Gott sei Dank«, sagte sie aus tiefstem Herzen und ließ sich in den anderen Sessel sinken. »Ich hatte schon angefangen, mich zu fragen, wie wir diese Mahlzeit hinter uns bringen sollen, wenn ich ständig jedes Wort auf die Goldwaage legen muss.«
    Sie sprach ohne den Anklang eines Dialekts, doch wenn sie laut wurde, verriet die Aussprache der Vokale ihre Londoner Herkunft. »Ich habe meine arme Mutter zur Verzweiflung gebracht. Sie wollte eine wohlerzogene, graziöse Tochter und bekam einen Elefanten im Porzellanladen.«
    »Lebt sie noch?«
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    »Nein. Sie ist an Brustkrebs gestorben, als ich vierzehn war.« Sie schnitt schon wieder eine Grimasse, es schien beinahe, als wäre es eine nervöse Angewohnheit von ihr, Mund und Augen in groteske Falten zu legen, und Jonathan dachte bei sich, wie unglaublich hässlich sie doch war. »Sie war vorher lange krank. Ich wurde praktisch von meinem Vater großgezogen. Der hatte auch keine Manieren, darum habe ich sie nie gelernt.«
    »Was war Ihr Vater von Beruf?«
    Sie lächelte liebevoll und rutschte auf ihrem Sessel nach vorn, so dass sie auf dem Rand zu sitzen kam.
    »Er war Briefträger.«
    Jonathan streckte seine Beine zum Feuer aus und ging ein wenig auf Distanz zu ihr, indem er sich zurücklehnte. »Lebt er noch?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Er ist vor fünfzehn Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Damals habe ich meine Zelte in London abgebrochen und bin nach Bournemouth gekommen. Ich fürchte, ich habe von beiden Seiten keine gesunden Gene mitbekommen. Sollte mich wundern, wenn ich mal alt werde. Aber es wird mich nicht weiter aufregen, wenn ich’s nicht werde«, sagte sie sachlich. »Es gibt viel Elend im Alter.«
    »Wofür Jim das beste Beispiel ist«, stellte Jonathan trocken fest.
    Ihre Augen blitzten erheitert. »Für Elend dieser Art kann man das Alter nicht verantwortlich ma-134

    chen. Jim hat sein Leben lang gemeckert, sagt jedenfalls Roy. Hat er Ihnen von seinen Orden erzählt?«
    Jonathan nickte.
    »Eigentlich kann er einem Leid tun. Er hat Plattfüße und durfte im Krieg nur die Mülltonnen leeren. Er hat die Geschichte von seinen Orden so oft erzählt, dass er sie mittlerweile wahrscheinlich selbst glaubt. Aber es ist schon traurig, wenn einer sich eine Geschichte erfinden muss, weil sein Leben so enttäuschend war.« Sie sah ihn mit ihren blitzblauen Augen prüfend an. »Mein Vater hat immer gesagt, das schlimmste Kreuz sei es, wenn man sich ständig angegriffen fühlt. Je mehr man hadert, desto schwerer trägt man daran.«
    Er fragte sich, ob das eine Spitze gegen ihn sei.
    »Wieso haben Sie Nachtschichten? Was arbeiten Sie?«
    »Nichts Großartiges. Ich bin in einem Pflegeheim.«
    »Als Krankenschwester?«
    »Als Hilfskraft. Ich war beim Finanzamt, als ich noch in London lebte.« Sie lächelte über seine Miene. »Wir sind nicht alle so schlimm wie unser Ruf. Manche von uns sind ganz manierlich.«
    »Und warum haben Sie das aufgegeben? Hätten Sie sich nicht einfach an ein Finanzamt hier unten versetzen lassen können?«
    »Ich hatte das Gefühl, es sei an der Zeit, mal Bilanz zu ziehen und die Prioritäten neu zu be-135

    stimmen. Und ich arbeite gern mit den geistig Verwirrten. Alle meine Patienten haben eine blü-hende Fantasie, die mit

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