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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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liegen die Akten?«
    Er bückte sich, um eine Sperre unter der Tischplatte zu lösen. Ein verspiegelter Türflügel öffnete sich und gab den Blick auf offene Schubladen voller Papiere frei. »Die Türen hängen leicht schräg, so dass sie den Teppich spiegeln, aber sobald man sie öffnet, ist es vorbei mit der Illusion. Ich finde es fürchterlich, aber ich bin natürlich auch ein langweiliger und altmodischer Kerl. Die Angestellten sind hingerissen. Es dreht sich alles um Raum 296

    und Weite, und sei es auch nur vorgetäuschte Weite. Man hat mir erklärt, das sei heilsam gegen Stress.«
    »Es leuchtet mir ein«, sagte George, die an das Tohuwabohu in ihrem Mini dachte, »aber mich dürfte man nicht hier hereinsetzen. Ich bin viel zu unordentlich. Abends wäre ich zu faul zum Aufräumen, und damit wäre der Eindruck von Weite allen verdorben.«
    »Dann werden Sie sich hoffentlich hier umso wohler fühlen«, sagte Andrew auf dem Weg zu einer Tür am Ende eines kurzen Ganges. »Hier habe ich nämlich die Grenze gezogen.«
    Das Zimmer war nicht mehr ganz so wie es zu Lebzeiten seines Vaters gewesen war, aber es war immer noch ein behaglicher Raum. Die Ledersessel, der breite Schreibtisch und die Bücherschränke aus Mahagoni waren geblieben, doch das Zimmer war heller und ordentlicher als in den Tagen, als Mr. Spicer senior Zigarettenasche auf den Boden geschnippt, Bücher und Wände mit Nikotin vergilbt und nur einen einzigen schmalen Gang zwischen den Manuskriptstapeln auf dem Fußboden freigelassen hatte. Insgeheim trauerte Andrew noch immer dem exzentrischen Stil des alten Mannes nach, doch Jenny hatte darauf bestanden, dass Image alles sei. Fremde betrachteten die Umgebung eines Menschen als einen Spiegel seiner Persönlichkeit, hatte sie behauptet.
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    Wie wahr das war, hatte er erst erkannt, als sie ihn wegen des Schauspielers verlassen hatte. Traurige Ironie, dass er ihr bei seinen Geschäftsräumen praktisch freie Hand gelassen hatte, ohne zu merken, dass dieses »Image ist alles« eine verschlüssel-te Botschaft an ihn selbst war. Hin und wieder gab er sich einsamer Nabelschau hin und fragte sich, ob sie bei ihm geblieben wäre, wenn er abgenommen, erhöhte Absätze getragen und sich ein Toupet zugelegt hätte. Es war nicht zu bestreiten, dass das Geschäft seit der räumlichen Modernisierung einen Aufschwung genommen hatte, was nur zeigte, dass der äußere Schein die Leute tatsächlich beein-druckte.
    Wie zum Beweis dafür sah George sich beifällig im Zimmer um. »Wenn Sie hier die Grenze gezogen haben, heißt das, dass Ihre Frau in diesem Raum nichts zu sagen hatte?«
    »Nein, aber wir einigten uns darauf, dass ich die alten Sachen behalte und mir kein Spiegel ins Zimmer kommt.« Nachdem er sie mit einer Geste gebeten hatte, Platz zu nehmen, setzte er sich in seinen ergonomischen Drehsessel und sagte: »Genau genommen ist sie meine Exfrau, aber denken Sie sich nichts. Wir haben uns in aller Freundschaft getrennt.«
    Er wartete schweigend, während sie es sich in dem abgewetzten Ledersessel bequem machte, und fragte sich, wie sie und Jon bloß aneinander 298

    gekommen waren. Sie trug ein gut geschnittenes dunkelblaues Kostüm, das Gesicht war dezent geschminkt, und das flaumige graue Haar fiel ihr leicht gelockt in die Stirn. Sie erinnerte Andrew an eine Tante, die er besonders mochte, und er war daher geneigt, auch sie zu mögen. »Ich hätte Sie ja gern zu mir nach Hause eingeladen, aber ich wohne im Süden von London, und das Haus ist nicht ganz leicht zu finden. Ich dachte mir, so wäre es einfacher für Sie beide.«
    »Kommt Jonathan auch?«
    Andrew nickte. »Aber erst um halb eins. Ich wollte vorher gern noch mit Ihnen allein sprechen.« Er stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und beugte sich vor. »Er hat sich totale Selbstverleugnung verordnet, George – erklärt mir immer wieder, das sei Ihre Story, nicht seine. Er ist gern bereit zu helfen, aber er möchte, dass Sie das Buch schreiben und die Lorbeeren dafür einheimsen.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Was meinen Sie dazu? Es böte Ihnen die Möglichkeit, nicht nur das an Howard Stamp begangene Unrecht aufzudecken, sondern, wenn Sie ein wenig schriftstellerisches Talent besitzen, auch noch etwas Geld zu verdienen. Jon möchte unbedingt, dass ich Sie vertrete, und ich bin gern dazu bereit, wenn Sie den Versuch wagen wollen.«
    Sie musterte ihn scharf. »Müssten Sie ihm da nicht widersprechen? Sie sind doch sein Agent.«
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    »Tja,

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