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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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in Bristol zu nennen. Er war kurz und sachlich und 285

    sagte warnend: »Sie sollten sich genau überlegen, wie Sie vorgehen wollen. Ich habe das gestern Abend mit meiner Frau besprochen, und sie meinte, es wäre grausam, den Trevelyans Hoffnung zu machen, wenn es dann doch nicht Cill ist.«
    George stimmte ihm zu. Sie hatte wieder einmal Nachtschicht und wälzte das Problem, sobald sie nicht mehr ganz so viel zu tun hatte. Bar aller Erwartung, dass William Burton ihr den Namen der Detektei liefern würde, hatte sie erwogen, auf eigene Faust eine Agentur zu beauftragen, um her-auszufinden, wer Priscilla Fletcher wirklich war. Als sie zu Hause im Internet nach Detektivbüros suchte, fand sie Versprechungen von »Vertraulichkeit«,
    »Diskretion« und »Umsicht« sowie Stundenpreise und Pauschalhonorare, die nicht ganz jenseits ihrer finanziellen Möglichkeiten lagen.
    Aber vorsichtig, wie sie nun mal war, war ihr bei der ganzen Sache nicht recht wohl. Ganz gleich, wer Priscilla Fletcher war, sie hatte wie jeder andere ein Recht auf den Schutz ihrer Privatsphäre – es sei denn, sie hätte ein Verbrechen begangen –, und der Diebstahl einer Brieftasche berechtigte wohl kaum dazu, ihr nachzuspionieren. Wenn sie Cill Trevelyan oder Louise Burton war, dann war ein solches Vorgehen moralisch mehr als fragwürdig.
    Beide Frauen hatten sich aus eigenem Entschluss von ihren Familien distanziert, und George stand es nicht zu, ihnen ihre Tarnung zu nehmen. Das 286

    aber wäre der unvermeidliche Ausgang, wenn eine Detektei eine Verbindung mit Cill nachwies; George war sicher, dass die Trevelyans alles da-ransetzen würden, gegen Bezahlung eines Honorars mit ihrer Tochter in Kontakt zu treten.
    Auch aus rein egoistischer Sicht konnte George nicht erkennen, was ihr die Information nützen könnte. Sollte sich die Frau tatsächlich als Cill oder Louise entpuppen, so würde George sie erst einmal dazu überreden müssen, ihre Geschichte zu erzählen; und wie sollte sie das anders anstellen als mit der Drohung, sie zu verraten? Entweder Sie sagen mir, was ich wissen will, oder ich sage Ihren Eltern, wo Sie sind. Eine absurde und kin-dische Drohung, die wahr zu machen George gar nicht im Stande wäre. Sie verstieß gegen alle ihre Überzeugungen – nämlich, dass jeder Mensch das unveräußerliche Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück besaß.
    In den frühen Morgenstunden war ihr klar geworden, wie viel einfacher es wäre, die Detektei, die damals von den Trevelyans beauftragt worden war, im Gewand der engagierten Mitbürgerin aufzusuchen, der eine Ähnlichkeit zwischen Cill und einer in Sandbanks ansässigen Frau aufgefallen war. Ganz gleich, was bei einer Überprüfung herauskäme, man würde sich auf jeden Fall verpflichtet fühlen, ihr irgendetwas zu sagen, und sei es nur, um sie daran zu hindern, auf eigene Faust weiter-287

    zuforschen. Dennoch war sie, als William Burton ihr Namen und Adresse der Detektei nannte, sofort sicher, dass damit eine Möglichkeit ausschied: Sie war überzeugt, dass er ihr die Detektei nicht genannt hätte, wenn er glaubte, Priscilla Fletcher könnte seine Schwester sein. Oder doch? Konnte es ein doppelter Bluff sein?
    »Vielleicht sollte ich es einfach aufgeben«, sagte sie mit einem unechten Seufzer. »Wenn die Frau wirklich Cill Trevelyan ist, will sie doch offensichtlich nicht gefunden werden.«
    Er antwortete nicht gleich. »So habe ich auch gedacht, bis meine Frau mich gefragt hat, wie mir zumute wäre, wenn eine unserer Töchter verschwände. ›Du würdest nie drüber wegkommen, schon gar nicht, wenn du erfahren würdest, dass sie vergewaltigt wurde und dir nichts gesagt hat.‹
    Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht, und ich denke, auch die Eltern haben Rechte, wenn auch vielleicht nur das Recht zu erfahren, dass sie noch am Leben ist.« Er machte eine kleine Pause.
    »Ich weiß nicht, ob es Ihnen weiterhilft, aber ich habe das Problem – dass Cill vielleicht gar nicht gefunden werden will – bei der Detektei in Bristol angesprochen, und sie haben mir erklärt, dass kein Mensch sie zwingen kann, ihre Eltern zu sehen, wenn sie es nicht will.«
    »Woher der Sinneswandel, Mr. Burton?«, fragte George neugierig.
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    »Welcher Sinneswandel?«
    »Sie kennen diese Geschichte seit dreißig Jahren, aber auf einmal machen Sie sich Gedanken darüber. Warum?«
    »Mir hat vorher nie jemand ein Foto gezeigt«, antwortete er prompt. »Sie suchten ja alle immer nur Lou, da

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