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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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war es nicht notwendig – aber mir ist durch dieses Bild bewusst geworden, wie jung Cill war. Mein Vater sagte immer, sie wäre ein frühreifes Früchtchen gewesen, viel zu weit für ihr Alter, und wenn man einmal eine bestimmte Vorstellung im Kopf hat, ist es schwer, von ihr abzusehen. Bei uns zu Hause hat sie keinem Leid getan, schon gar nicht, als Lou plötzlich vor lauter Angst nicht mehr aus dem Haus gehen wollte. Meine Eltern gaben an allem Cill die Schuld. ›Wenn nur Louise dieser verdammten Göre nie begegnet wäre …‹ – das war monatelang das Einzige, was sie über sie zu sagen hatten.« Er schwieg.
    »Cill scheint häufig geschlagen worden zu sein«, stellte George sachlich fest. »Wenn man zwischen den Zeilen liest, gewinnt man in den Zeitungsberichten den Eindruck, dass ihr Vater überhaupt keine Skrupel hatte, sie zu verprügeln.«
    »Er hat sie immer mit dem Gürtel vermöbelt.
    Aber besser geworden ist davon auch nichts. Es hat nur dazu geführt, dass sie am Ende durchgebrannt ist, weil sie nicht schon wieder eine Tracht bekommen wollte.«
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    »Wegen des Streits mit Louise, meinen Sie?«
    »Genau.«
    George machte mit dem Bleistift ein Häkchen auf dem Schreibblock, der vor ihr lag. »Finden Sie es nicht merkwürdig, dass die Schule damals nur Cill bestrafte?«, fragte sie ruhig. »Eigentlich hätten doch beide eine Strafe bekommen müssen.«
    »Lou hat damals gesagt, Cill hätte keine Erklärung gegeben. Daraufhin hat die Direktorin sie vom Unterricht ausgeschlossen. So ist das damals gelaufen.«
    »Was war Louises Erklärung für den Streit?«
    »Vermutlich das, was sie auch unseren Eltern erzählt hat – dass Cill sie wieder zum Schuleschwänzen verleiten wollte.«
    »Nach der Wahrheit hört sich das aber nicht an, finden Sie nicht auch? Wahrscheinlicher ist, dass sie Cill mit der Vergewaltigung hänselte – vielleicht hat sie ihr sogar gedroht. Etwa in dem Sinn: ›Jetzt tust du, was ich will, sonst verrate ich dich.‹« Sie wartete, doch er sagte nichts. »Man braucht sehr viel Fantasie, um sich vorzustellen, was für verheerende Auswirkungen eine Vergewaltigung auf das Opfer haben kann, noch dazu eine Vergewaltigung durch mehrere Täter. Da wird nicht nur der Körper verletzt, sondern auch die Seele. Das arme Kind hat sich wahrscheinlich Tag für Tag wundgeschrubbt, um sich von dem Schmutz dieser Burschen zu reinigen. Wäre Louise fähig gewesen 290

    zu verstehen, wie furchtbar ihre Freundin verletzt worden war?«
    »Nein.«
    »Und deshalb hat sie nichts unternommen, um ihr zu helfen?«
    »Sie hatte viel zu viel Angst. Sie haben Cill an den Haaren über den Boden geschleift und getreten. Ihre Beine waren voller Blut – darum ist Lou dann losgelaufen und hat eine lange Hose geholt.«
    Seine Stimme bekam plötzlich etwas Dringliches.
    »Als Kind denkt man nicht über Psychologie nach … das kann man gar nicht … die meiste Zeit versucht man krampfhaft zu begreifen, warum die eigenen Eltern unentwegt streiten. Es wär vielleicht anders gewesen, wenn Cill uns nicht so bedrängt hätte. Sie hat uns immer wieder gedroht, dass sie uns umbringen würde, wenn wir was sagen …« Er brach ab.
    George ließ das Geständnis stehen, ohne nach-zuhaken. »Sie muss große Angst vor ihrem Vater gehabt haben. Haben Sie mal überlegt, warum sie diese anzüglichen Reden führte? Woher wusste sie so viel über Sex? Körperliche Gewalt und sexueller Missbrauch gehen häufig Hand in Hand.«
    Es blieb lange still. »Aber warum lässt er immer wieder nach ihr suchen?«
    »Das kann alle möglichen Gründe haben. Schuld-bewusstsein – Liebe – Obsession. Ein Freund von mir ist überzeugt, dass der Mann zu weit gegangen 291

    ist und sie getötet hat. Vielleicht will er darum den Anschein aufrechterhalten, dass sie noch lebt.«
    »Das dachten meine Eltern damals auch – viele dachten das –, aber ich erinnere mich, dass mein Vater erzählte, David Trevelyan wäre vernommen worden, und sie hätten ihn freigelassen, weil sie im Haus keinen Hinweis darauf gefunden hatten, dass Cill getötet worden war. Außerdem haben sie nie eine Leiche gefunden.«
    »Und als sie dann eine fanden, war Cill augenblicklich vergessen«, sagte George bewusst schnod-derig.
    »Wieso? Ich versteh nicht.«
    »Grace Jefferies. Sie wurde ein paar Tage nach Cills Verschwinden in der Mullin Street ermordet.
    Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob die beiden Ereignisse etwas miteinander zu tun haben.«
    Er schien erstaunt. »Aber

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