Der Azteke
königlich-feiner Kitzhaut. Die üblichen Anweisungen: um Mitternacht am Osttor. Wenn Ihr Euren Namen darunterschreibt und den Ring beifügt, Gebieterin, kann ich nahezu mein Leben verwetten, daß er im selben Kanu eintrifft, das den Brief überbringt.«
»Mein kluger Hole!« sagte sie und trug den Brief zu einem niedrigen Tisch, auf dem Farbtopf und Schreibrohr bereitstanden. Da sie zwar eine Mexícatl, aber kein Mann war, konnte sie selbstverständlich weder lesen noch schreiben, doch als Adlige war sie zumindest imstande, die Symbole für ihren Namen hinzusetzen. »Du weißt, wo mein persönliches Acáli festgemacht ist. Bring dies dem Steuermann und sag ihm, er soll bei Sonnenuntergang losfahren. Ich will meine Freude morgen abend haben.«
Tlatli und Chimáli warteten draußen auf dem Gang, um mich abzufangen, und Tlatli sagte mit zitternder Stimme: »Weißt du, was du da tust Maulwurf?«
Mit nicht ganz so zittriger Stimme sagte Chimàli: »Weißt du, was dem Herrn Pactli blühen könnte"? Komm und sieh es dir an!«
Ich folgte ihnen die Steintreppe in ihre Werkstatt mit den Steinwänden hinunter. Sie war sehr gut ausgestattet, doch da sie unter der Erde lag und Tag und Nacht von Fackeln erhellt werden mußte, kam man sich wie in einem Verlies vor. Die Künstler hatten gleichzeitig an verschiedenen Standbildern gearbeitet, von denen ich zwei erkannte: Das des Sklaven Ich Werde Größe Besitzen stand bereits in voller Lebensgröße da, und Chimàli hatte angefangen, den Ton mit seinen besonderen Farben anzumalen.
»Sehr lebensecht«, sagte ich und meinte das durchaus aufrichtig. »Die Dame Jadestein Puppe wird zufrieden sein.«
»Ach, die Ähnlichkeit zu erreichen war nicht besonders schwierig«, erklärte Tlatli bescheiden. »Denn immerhin konnte ich mich ja an deine vorzügliche Zeichnung halten und überdies den echten Schädel mit Ton umkleiden.«
»Aber meine Bilder geben doch keine Farben wieder«, sagte ich, »und selbst Meisterbildhauer Pixquitl ist nicht imstande gewesen, die einzufangen. Chimáli, ich beglückwünsche dich zu deinem Können.«
Auch das war durchaus aufrichtig gemeint. Pixquitls Standbilder waren mit den üblichen ausdruckslosen Farben angestrichen worden: mit einem eintönigen blassen Kupferton überall dort, wo es Haut wiederzugeben galt, einem langweiligen Schwarz für die Haare und so weiter. Chi-mälis Hauttöne wiesen feine Unterschiede auf, genauso, wie die lebendiger Menschen: Nase und Ohren um ein weniges dunkler als der Rest des Gesichts, die Wangen etwas rosiger. Selbst im Schwarz der Haare schimmerten hier und da ins Bräunliche spielende Lichter auf.
»Sobald er im Brennofen gebrannt ist, müssen sie eigentlich noch besser aussehen«, erklärte Chimáli. »Dann verschmelzen die Farben besser miteinander. Und ach, schau dir dies hier an, Maulwurf.« Er führte mich um das Standbild herum und zeigte darauf: Unten am Tonumhang des Sklaven hatte Tlatli sein Falkenzeichen eingeritzt, und darunter prangte Chimális blutrotes Handzeichen.
»Jawohl, unmißverständlich«, erklärte ich mit gleichbleibender Stimme und ging zum nächsten Standbild hinüber. »Und das hier wird Etwas Köstliches.«
Voller Unbehagen sagte Tlatli: »Weißt du, Maulwurf, uns wäre es lieber, wir kennten die Namen der – naja – Modelle nicht.«
»Sie hieß nicht nur so.«
Bis jetzt waren nur Kopf und Schultern von Etwas Köstlichem fertig, welchselbige sich freilich in der gleichen Höhe befanden, wo sie auch im Leben gesessen hatten, denn sie saßen auf fest miteinander verbundenen Knochen, ihrem eigenen Skelett, das im Rücken von einer Stange gestützt wurde.
»Diese Statue gibt mir Probleme auf«, sagte Tlatli, als spräche er von einem Steinblock, in dem er unvermutet einen Fehler entdeckt hatte. Er zeigte mir eine Skizze, diejenige, welche ich auf dem Markt gefertigt hatte, den Porträtkopf, den ich als erstes von Etwas Köstlichem gezeichnet hatte. »Beim Kopf helfen mir die Zeichnung und der Totenschädel sehr. Und das Colótli, das Gerüst, verrät mir die Linienführung, aber …«
»Das Gerüst?« fragte ich.
»Welches dem ganzen von innen her Halt gibt. Jede Plastik aus Ton oder Wachs muß von einem Gerüst getragen werden, genauso, wie ein fleischiger Kaktus von einem Rippengerüst getragen wird. Und welch besseres Gerüst für eine menschliche Gestalt gäbe es, als das originale Knochengerüst?«
»In der Tat«, sagte ich. »Aber sagt mir, woher bekommt ihr das originale
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