Der Azteke
Knochengerüst?«
Chimáli sagte: »Die Dame Jadestein Puppe läßt es uns aus ihrer Küche liefern.«
»Aus ihrer Küche?«
Chimáli wich meinem Blick aus. »Frag mich nicht, wie sie ihre Köche und Küchenarbeiter dazu gebracht hat. Aber sie ziehen die Haut ab, holen das Gekröse heraus und lösen das Fleisch von den – vom Modell –, ohne daß es auseinanderfällt. Was dann übrig bleibt, sieden sie in riesigen Kesseln mit Kalkwasser. Sie müssen das Skelett herausholen, ehe Knorpel, Bänder und Sehnen sich auflösen. Deshalb sitzen immer noch ein paar Brocken Fleisch dran, die wir abkratzen müssen. Aber wir erhalten das Skelett unversehrt. Gewiß, manchmal löst sich ein Fingerknöchel oder eine Rippe, aber …«
»Aber unglücklicherweise«, sagte Tlatli, »gibt selbst das vollkommenste Knochengerüst keine Auskunft darüber, wie das Äußere gestaltet und gerundet war. Bei einer Männergestalt kann ich das ungefähr erraten, doch bei einer Frau ist das anders. Brüste und Hüften und Gesäß, weißt du.«
»Sie waren hinreißend«, murmelte ich, als ich mir vorstellte, wie Etwas Köstliches im Leben gewesen war. »Kommt in meine Kammer, dort kann ich euch noch eine Zeichnung zeigen, die euer Modell in ihrer ganzen Schönheit zeigt.«
In meinen Wohngemächern befahl ich Cozcatl, uns allen eine Schokolade zu bereiten. Tlatli und Chimáli gingen in den drei Räumen umher und konnten sich nicht genug tun über die Verfeinerung und den Luxus der Einrichtung, während ich meine Zeichnungen durchsah und eine hervorzog, die Etwas Köstliches in voller Größe zeigte.
»Ah, völlig nackt«, sagte Tlatli. »Das ist für meine Zwecke ideal.« Genausogut hätte er ein Urteil über guten Tonmergel abgeben können.
Chimáli besah sich das Bild der Toten gleichfalls und sagte: »Wahrhaftig, Maulwurf, deine Zeichnungen zeugen von größter Detailkenntnis. Wenn du davon abgehen würdest, nur mit Linien zu zeichnen und lerntest, mit Licht und Schatten der Farbe zu arbeiten, könntest du es zu einem echten Künstler bringen. Dann könntest auch du der Welt Schönheit schenken.«
Ich stieß ein mißtönendes Lachen aus. »Wie Standbilder, die auf ausgekochten Knochengerüsten ruhen.«
Tlatli nippte an seiner Schokolade und erklärte in rechtfertigendem Ton: »Wir haben diese Leute schließlich nicht umgebracht, Maulwurf. Und wir wissen auch nicht, warum die junge Königin will, daß sie für die Nachwelt erhalten bleiben. Aber überlege doch einmal. Wenn sie nur vergraben oder verbrannt würden, würden sie nur wieder zu Erde oder zu Asche werden. Wir sorgen jedenfalls dafür, daß sie weiter erhalten bleiben. Und tun unser bestes, etwas sehr Schönes aus ihnen zu machen.«
Ich sagte: »Ich bin Schreiber. Ich mache die Welt nicht schöner, als sie ist, ich beschreibe sie nur.«
Tlatli hielt meine Skizze von Etwas Köstlichem in die Höhe. »Du hast dies hier gemacht, und es ist etwas sehr Schönes.«
»Von Stund an werde ich nichts weiter zeichnen als WortBilder. Ich habe das letzte Bild gemalt, das ich je machen werde. Nie wieder werde ich ein Bildnis zeichnen.«
»Das von Herrn Freude«, erriet Chimàli. Dann sah er um sich, um sicher zu sein, daß auch kein Sklave in der Nähe sei. »Du sollst aber wissen, daß du Pactli der Gefahr auslieferst, in den Kalkwassertöpfen der Küche zu enden.«
»Daß er das tut, hoffe ich inständig«, erklärte ich. »Der Tod meiner Schwester darf nicht ungerächt bleiben.« Und dann hielt ich Chimáli dieselben Worte vor, die er mir vorgeworfen hatte: »Das wäre eine Schwäche und würde besudeln, was wir füreinander empfunden haben.«
Immerhin besaßen die beiden den Anstand, schweigend eine Weile die Köpfe zu senken, ehe Tlatli sagte:
»Du bringst uns alle in Gefahr, entdeckt zu werden.«
»In dieser Gefahr seid ihr längst, so wie ich schon lange darin stecke. Vielleicht hätte ich euch all das hier« – und mit einer Handbewegung umfaßte ich die ganze Werkstatt – »sagen können. Aber hättet ihr mir das in Xaltócan geglaubt?«
Chimáli hielt mir entgegen: »Es sind doch nur Gemeinfreie und Sklaven. Möglich, daß man sie nie vermißt. Aber Pactli ist Kronprinz einer Mexíca-Provinz!«
Ich schüttelte den Kopf. »Der Ehemann der Frau auf der Zeichnung dort – soweit ich gehört habe, hat er über dem Versuch herauszufinden, was aus seiner geliebten Frau geworden ist, den Verstand verloren. Er wird nie wieder normal werden. Selbst Sklaven verschwinden nicht
Weitere Kostenlose Bücher