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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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ständiges Kommen und Gehen von Kanus, die wie unzählige Wasserläufer über die Wasserfläche dahineilten. In der Mehrzahl handelte es sich um die Ein- oder Zwei-Mann-Acaltin der Vogelsteller und Fischer, die aus einem einzigen ausgehöhlten Baumstamm bestanden und die Form einer Bohnenschote hatten. Es gab aber auch größere, bis hinauf zu den Sechzig-Mann-Kriegskanus, und unser Fracht-Acáli bestand aus acht Bordwand an Bordwand vertäuten Booten von nahezu der gleichen Größe. Unsere aus kunstvoll behauenen Kalksteinplatten bestehende Fracht war sorgsam an Deck aufeinandergeschichtet, und jeder einzelne Stein war zum Schutz vor Beschädigungen in dicke Fasermatten eingehüllt worden.
    Mit einer so schweren Ladung an Bord eines so ungefügen Fahrzeugs kamen wir selbstverständlich nur sehr langsam voran, wiewohl mein Vater einer von den zwanzig Männern war, die ruderten (oder stakten, wenn es durch seichtes Wasser ging). Wegen der gewundenen Route – erst in südwestlicher Richtung durch den Xaltócan-See, nach Süden hinein in den Texcóco-See, dann wiederum in südwestlicher Richtung auf die Stadt zu – mußten wir sieben von den Entfernungen zurücklegen, die wir Ein Langer Lauf nannten, und was etwa der Länge eurer spanischen Legua entspricht. Es galt also, sieben Leguas zurückzulegen, wobei unser großes Flachboot oder Floß sich selten schneller vorwärtsbewegte, als ein Mensch gehen kann. Wir legten eine ganze Weile vor Mittag von unserer Insel ab, doch war die Nacht schon weit vorangeschritten, als wir in Tenochtítlan festmachten.
    Eine Zeitlang sah ich nichts, was mir nicht vertraut gewesen wäre: den rotgefärbten See, den ich so gut kannte. Dann lief das Land von beiden Seiten aufeinander zu, wir glitten durch die südliche See-Enge, das Wasser verblaßte und nahm nach und nach eine graubraune Färbung an, je weiter wir in den riesig großen Texcóco-See hineinliefen. Dieser erstreckte sich so weit nach Osten und nach Süden, daß das Land dahinter nur ein dunkler, gezackter Strich am Horizont war.
    Eine Weile bewegten wir uns langsam wieder in südwestlicher Richtung voran, doch hüllte Tonatíu, die Sonne, sich bereits in das Strahlen seines Schlafgewandes, als unsere Ruderer sich gegen die Riemen stemmten, um unser schwerfälliges Fahrzeug vor dem Großen Deich zum Halten zu bringen. Diese Schutzsperre besteht aus einer Doppelreihe von Baumstämmen, die dicht einer neben dem anderen in den Grund des Sees hineingetrieben worden waren, während man den Raum dazwischen fest mit Felsbrocken und Erde aufgefüllt hatte. Er diente dazu, vom Ostwind hochgepeitschte Wellen daran zu hindern, die tiefgelegene Inselstadt zu überfluten. In regelmäßigen Abständen waren Zufahrtstore in den Deich eingelassen, die von den Deichwärtern die größte Zeit des Jahres über offengehalten wurden. Da der Schiffsverkehr, welcher der Stadt zustrebte, beträchtlich war, mußte unser Frachtkahn in einer Reihe mit anderen Fahrzeugen vor der Öffnung warten, ehe er hindurchkonnte.
    Während wir das taten, zog Tonatíu die dunklen Decken der Nacht über sein Bett, und der Himmel färbte sich violett. Die Berge im Westen, direkt vor uns, verloren unversehens alle Tiefe und nahmen scharfe Umrisse an, als wären sie aus schwarzem Papier ausgeschnitten. Über ihnen kam es erst zu einem zaghaften Glimmen, dann wurde aus dem Glimmen plötzlich ein lebhaftes, zuversichtliches Strahlen: Nach Blume versicherte uns, daß abermals eine von den vielen Nächten angebrochen war, nicht die letzte und nimmer endende Nacht.
    »Jetzt sperr die Augen weit auf, Sohn Mixtli!« rief mein Vater von seiner Ruderbank aus.
    Als ob Nach Blume ein Feuerzeichen gegeben hätte, tauchte jetzt ein zweites Licht auf, dieses freilich unterhalb der Zackenlinie der schwarzen Berge. Dann noch ein Lichtpunkt und noch einer, dann zwanzig und aberzwanzig flackernde Lichter. Und so erblickte ich Tenochtítlan zum erstenmal in meinem Leben: nicht als eine Stadt aus steinernen Türmen, reichgeschnitztem Holz und leuchtender Farbe, sondern als eine Stadt aus Licht. In dem Maße, wie Lampen und Laternen, Kerzen und Fackeln entzündet wurden – in Fensteröffnungen, auf den Straßen, die Kanäle entlang, auf den Terrassen der Häuser, an Straßenecken und auf den Dächern –, verdichteten die einzelnen Lichtpunkte sich zu Trauben, verschmolzen die Lichttrauben miteinander und bildeten Bänder aus Licht, die wiederum die Umrisse der Stadt zeichneten.
    Die

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