Der Azteke
wir an das Schatzamt unseres Volkes abführten, sowie den jährlichen Tribut an den Verehrten Sprecher und seinen Obersten Rat zu bezahlen. (Der Uey-Tlatoàni Motecúzoma war gestorben, als ich drei Jahre als war; damals waren Herrschaft und Thron an seinen Sohn Axayácatl – Wassergesicht – übergegangen.) Ein weiterer Anteil der Kalksteinausbeute ging an unseren Tecútli oder Gouverneur sowie einige andere hochstehende Adlige, und noch ein anderer Teil diente dazu Dinge zu bezahlen, die allen auf der Insel zugute kamen: den Bau von Kanus etwa, die dem Warentransport auf dem Wasser dienten, den Ankauf von Sklaven, welche die niederen Arbeiten zu verrichten hatten, die Entlohnung der Steinbrucharbeiter und dergleichen mehr. Gleichwohl blieb noch ein beträchtlicher Teil des Kalksteins übrig für den Verkauf nach außerhalb und für den Tauschhandel.
Auf diese Weise konnte Xaltócan Handelsgüter einführen und gelangte in den Besitz von Zahlungsmitteln, die unser Tecútli je nach Rang und Verdienst unter seine Untertanen aufteilte. Darüber hinaus gestattete er allen Bewohnern der Insel – bis auf die Sklaven und andere Niedrigstehende, versteht sich –, ihre Häuser aus dem in so reichem Maße zur Verfügung stehenden Baumaterial zu errichten. Daher unterschied Xaltócan sich von allen anderen Gemeinwesen hierzulande, wo die Häuser zumeist aus luftgetrockneten Lehmziegeln, Holz oder Rohrgeflecht bestanden, wo viele Familien sich in einem großen Gemeinschaftshaus drängten, oder wo manche sogar in Berghöhlen lebten. Wiewohl das Haus meiner Eltern nur drei Räume hatte, bestand sogar der Fußboden aus großen geglätteten weißen Kalksteinplatten. Es gab nicht viele Paläste in Der Einen Welt, die aus edlerem Material gebaut worden wären. Daß wir den Stein für den Hausbau verwendeten, bedeutete darüber hinaus, daß die Wälder auf unserer Insel keinem Kahlschlag zum Opfer gefallen waren, wie das sonst häufig der Fall war.
Zu meiner Zeit hieß unser Tecútli Tlauquécholtzin, Herr Rot Reiher – ein Mann, dessen Vorfahren zu den ersten Mexíca-Siedlern auf der Insel gehört hatten und der damit zum höchsten Adel bei uns zählte. Wie es in den meisten Bezirken und Gemeinwesen Brauch war, sicherte ihm dieser Umstand auf Lebenszeit die Ämter als unser Tecútli, als Mitglied des Obersten Rates unter dem Vorsitz des Verehrten Sprechers, sowie als Herrscher der Insel, ihrer Steinbrüche, des sie umgebenden Sees und über jeden einzelnen Bewohner der Insel – bis in gewissem Maße auf die Priester, die darauf pochten, nur den Göttern Treue schuldig zu sein.
Nicht jedes Gemeinwesen hatte das Glück, einen Tecútli zu haben wie wir auf Xaltócan. Von den Angehörigen der Adelsschicht erwartete man, daß sie ihrem Rang alle Ehre machten – das heißt, wahrhaft edel waren –, doch das konnte man nicht von allen behaupten. Auch konnte kein Pili, der in den Adelsstand hineingeboren war, jemals abgesetzt oder in eine niedrigere Schicht zurückgestuft werden, mochte sein Verhalten auch noch so unedel sein. (War sein Benehmen jedoch in den Augen seiner Mit-Pipiltin durch nichts zu entschuldigen, verstießen sie ihn aus seiner Stellung und überantworteten ihn unter Umständen sogar dem Tod.) Desgleichen sollte ich an dieser Stelle vielleicht noch erwähnen, daß die Mehrzahl der Adligen durch ihre Geburt diesem Stand angehörten, es jedoch gleichwohl für einen ganz gemeinen Mann möglich war, in die Oberschicht aufzusteigen.
Ich erinnere mich an zwei Xaltócaner, die von Macehuáltin zu Pipiltin aufstiegen und auf Lebenszeit ein beträchtliches Einkommen erhielten. Colótic-Mitztli, ein ehemaliger älterer Kriegsmann, hatte seinem Namen – Wilder Berglöwe – alle Ehre gemacht und in einem längst vergessenen Krieg gegen einen früheren Feind irgendeine große Heldentat vollbracht. Dabei hatte er solche Narben davongetragen, daß er hinterher ganz entstellt und grausig anzusehen war; gleichzeitig hatte ihm das aber auch die begehrte Nachsilbe – tzin an seinen Namen eingetragen, und so hatte er fortan Miztzin, Herr Berglöwe geheißen. Bei dem anderen handelte es sich um Quali-Ameyatl oder Guter Quell, einen freundlichen und umgänglichen jungen Baumeister, der nichts Bemerkenswerteres getan hatte, als die Anlage einiger Gärten des Tecutli-Palasts zu planen. Doch war Améyatl ebenso schön wie Miztzin häßlich war, und so hatte er während seiner Arbeit im Palast das Herz eines Mädchens namens Tautropfen
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