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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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zusammen, denn es war seit langer, langer Zeit das erstemal, daß ich wieder eine menschliche Stimme vernahm; freilich klang der Ruf nicht bedrohlich, eher heiter, und so meinte ich, es müsse wohl ein Gruß sein. Der gerufen hatte, war ein junger Mann, welcher lächelnd am Rand des Cañons auf mich zukam. Er hatte ein schönes Gesicht, so wie ein Falke schön ist, und war gut gewachsen, wenn auch kleiner als ich. Er war anständig gekleidet, ging allerdings barfuß – doch das erging mir mittlerweile nicht anders, da meine Sandalen unterwegs längst zerschlissen und mir von den Füßen gefallen waren. Neben seinem sauberen hirschledernen Schamtuch trug er einen Umhang aus demselben Material, allerdings von einem Schnitt, der mir neu war; er wies bis zum Handgelenk hinunter Ärmel auf, um ihm zusätzlich Wärme zu geben.
    Als er näherkam, erwiderte ich seinen »Kuira-ba«-Gruß. Er zeigte auf den Wasserfall, den ich bewundert hatte, grinste stolz, als wäre er sein persönliches Eigentum, und sagte: »Basa-séachic«, wobei ich meinte, daß das wohl Fallendes Wasser heißen müsse, denn es erschien mir höchst unwahrscheinlich, daß man einen Wasserfall anders nennen könne. Ich wiederholte das Wort und legte viel Gefühl hinein, um ihm begreiflich zu machen, daß ich das Wasser ganz besonders schön fände und die Art, wie es sich in die Tiefe stürzte, außerordentlich beeindruckend. Der junge Mann zeigte auf sich und sagte: »Tes-disóra« – offensichtlich sein Name, welcher, wie ich später erfuhr, Mais Stengel bedeutete. Ich zeigte auf mich, sagte: »Mixtli«, um dann zu einer Wolke am Himmel hinaufzudeuten. Er nickte, klopfte ein paarmal auf sein Hischlederwams, sagte: »Raramurime«, um dann auf mich zu zeigen und zu sagen: »Chichimecáme.«
    Nachdrücklich schüttelte ich den Kopf, schlug mir gegen die bloße Brust und sagte: »Mexícatl!« woraufhin er neuerlich nickte, nachsichtig allerdings, als hätte ich den Namen eines der zahllosen Hunds-Unterstämme der Chichiméca genannt. Nicht sofort, wohl aber später begriff ich, daß die Rarámuri niemals von uns Mexíca auch nur gehört hatten – von unserer hochstehenden Gesellschaft, unserem Wissen, unserer Macht und unseren weiten Herrschaftsgebieten – und ich glaube, es hätte ihnen auch nichts weiter bedeutet, wenn sie es gewußt hätten. Die Raramuri leben in ihren Bergen ein behagliches Leben – das gut bewässerte Land ernährt sie, und sie begnügen sich mit der Gesellschaft von ihresgleichen –, so daß sie selten weite Reisen unternehmen. Infolgedessen kennen sie keine anderen Völker außer ihren unmittelbaren Nachbarn, von denen gelegentlich Leute, die auf Raub aus waren, in ihr Land eindrangen – oder einfache Wanderer wie ich.
    Nördlich von ihnen lebten die gefürchteten Yaki, und kein vernünftiges Volk, das seine fünf Sinne beisammen hat, kann den Wunsch hegen, mit den Yaki nähere Bekanntschaft zu schließen. Mir fiel ein, von einem der Vorsitzenden der Pochtéca-Gilde von den Yaki gehört zu haben. Später, als ich seine Sprache besser verstand, erzählte Tes-disóra mir mehr von ihnen: »Die Yaki sind wilder als die wildesten Tiere. Als Schamtuch tragen sie das Haar anderer Menschen. Sie reißen einem Menschen die Kopfhaut herunter, während dieser noch lebt; erst dann weiden sie ihn aus, zerteilen ihn und verzehren ihn. Verstehst du, töten sie ihn vorher, meinen sie, es lohne sich nicht, ihm den Skalp zu nehmen und ihn zu tragen. Und das Haar einer Frau zählt überhaupt nichts. Frauen, die ihnen in die Hände fallen, sind nur zum Aufessen gut – nachdem sie ihnen solange Gewalt angetan haben, bis sie in der Mitte aufreißen und man sie nicht mehr schänden kann.«
    In den Bergen südlich der Rarámuri leben friedfertigere Stämme, welche ihnen durch ähnliche Sprachen, Sitten und Gebräuche verwandt sind. An der Küste im Westen leben Fischerstämme, welche sich fast nie weiter ins Landesinnere hineinwagen. Alle diese Völker kann man vielleicht nicht gerade hochstehend nennen, doch legen sie zumindest Wert auf Körpersauberkeit und anständige Kleidung. Die einzigen wirklich tief stehenden Nachbarn der Rarámuri sind die Chichimeca-Stämme in den Wüsten des Ostens. Ich war so sonnenverbrannt wie nur je ein wüstenbewohnender Chichimécatl und fast genauso nackt. In den Augen der Rarámuri konnte ich nur einer von dieser nichtsnutzigen Brut sein, wenn auch ein außergewöhnlich unternehmungslustiger, daß ich mich bis in

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