Der Azteke
ihre Bergeshöhen emporgewagt hatte. Ich meine, Tes-disóra könnte bei unserem ersten Zusammentreffen zumindest bemerkt haben, daß ich nicht stank. Dank der Fülle von Wildwassern in den Bergen hatte ich jeden Tag baden können und tat das auch weiterhin, wie die Rarámuri selber auch. Doch trotz meiner Höflichkeit und Zuvorkommenheit und wiewohl ich immer wieder nachdrücklich darauf hinwies, ich sei ein Mexícatl, ja, wiewohl ich dieses ferne Volk immer wieder rühmte und pries, konnte ich keinen einzigen von den Rarámuri jemals davon überzeugen, etwas anderes zu sein als nur ein Chichimécame-Flüchtling aus der Wüste.
Doch gleichviel. Für was sie mich auch immer hielten oder was sie auch meinten, was zu sein ich vorgab, die Rarámuri nahmen mich mit offenen Armen auf. Und ich verweilte einige Zeit bei ihnen, bloß, weil ihre Lebensweise mich für sie einnahm und es mir Freude machte, mit ihnen zusammenzuleben. Ich blieb lange genug bei ihnen, ihre Sprache einigermaßen zu lernen, um mich – zumindest unter Zuhilfenahme vieler Gesten und Gebärden von ihrer wie von meiner Seite – mit ihnen zu unterhalten. Bei meinem ersten Zusammentreffen mit Tes-disóra verständigten wir uns ausschließlich durch Zeichen.
Nachdem wir uns gegenseitig unsere Namen genannt hatten, benutzte er die Hände, um ein Dach über seinem Kopf anzudeuten – was soviel bedeutete wie Dorf, nahm ich an – und sagte: »Guagüey-bo« und deutete nach Süden. Dann zeigte er zu Tonatíu hoch oben am Himmel hinauf und nannte ihn »Ta-tevarí« oder Großvater Feuer und machte mir begreiflich, wir könnten das Dorf Guagüey-bo innerhalb des Weges von drei Sonnen erreichen. Ich meinerseits gab ihm durch Gesten meine Dankbarkeit für diese Einladung zu verstehen, und so machten wir uns auf den Weg. Zu meiner Verwunderung setzte Tes-disóra sich in Trab, doch als er sah, daß ich unter Kurzatmigkeit und Müdigkeit litt und nicht geneigt war zu laufen, blieb er stehen und schloß sich fortan meinem Schrittempo an. Sein trabender Gang war offensichtlich seine gewohnte Art und Weise, Berge und Cañons gleichermaßen zu überwinden, denn obgleich ich lange Beine habe, dauerte es fünf und nicht drei Tage, bis wir Guagüey-bo erreichten.
Gleich zu Beginn unseres Marsches gab Tes-disóra mir zu verstehen, er gehöre zu den Jägern seines Dorfes. Ich erkundigte mich durch Zeichensprache danach, wie es dann komme, daß er mit leeren Händen unterwegs sei. Wo er denn seine Waffen gelassen habe? Er verzog sein Gesicht zu einem Grinsen und gebot mir stehenzubleiben und still im Unterholz hocken zu bleiben. Dergestalt warteten wir im Wald nur eine kurze Zeit, als Tes-disóra mir einen sanften Rippenstoß versetzte und mit dem Finger zeigte, woraufhin ich undeutlich etwas zwischen den Bäumen sich bewegen sah. Ehe ich meinen Kristall ans Auge heben konnte, schnellte Tes-disóra unversehens aus seiner Hockstellung in die Höhe und schoß davon, als wäre er ein Pfeil, der von einer Sehne springt.
Die Bäume standen so dicht, daß ich trotz meines Topases nicht jeder Bewegung folgen konnte, welche die Jagd nahm, doch sah ich genug, daß ich vor Fassungslosigkeit Mund und Nase aufsperrte. Die gefleckte Gestalt, welche ich undeutlich wahrgenommen hatte, war ein junges Kitz, welches sofort in langen Fluchten davonsprang, als Tes-disóra hinterhersetzte. Das Kitz war schnell, doch der junge Mann war noch schneller. Das junge Tier sprang und schlug Haken, doch er schien irgendwie schon im Voraus zu wissen, wohin es sich in seiner Verzweiflung jedesmal wenden würde. In kürzerer Zeit als ich brauche, es zu erzählen, hatte er das Kitz eingeholt, warf sich darauf und brach ihm das Genick.
Als wir eine der Kitzlenden brieten, vollführte ich Gesten der Verwunderung über Tes-disóras Flinkheit und Gewandtheit. Er tat das Lob mit bescheidenen Gesten ab und erklärte mir dann, er gehöre noch zu den langsamsten Schnelläufern, andere Jäger überträfen ihn bei weitem, und im übrigen sei ein kleines Kitz schließlich im Gegensatz zu einem ausgewachsenen Rehbock keine Herausforderung. Er seinerseits bekundete Erstaunen über den Brennkristall, mit dessen Hilfe ich unser Feuer entzündet hatte. Er erklärte, nie so ein wunderbar nützliches Gerät im Besitz eines anderen Barbaren gesehen zu haben.
»Mexícatl«, wiederholte ich mehrere Male ärgerlich. Er jedoch nickte nur, und wir hörten auf zu reden – redeten weder mit Händen noch mit dem Mund, sondern
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