Der Azteke
Welt hinterm Horizont im Osten verschwand. Die Strömung hatte mich weit vom Land abgetrieben, überall war Wasser, und das war die erste Erfahrung dieser Art in meinem Leben. Ich trieb völlig niedergeschlagen über das endlose Wasser. Das Meer umgab mich von allen Seiten, ich war im höchsten Maße unglücklich und kam mir vor wie eine Ameise auf dem Boden und genau in der Mitte einer blauen Schale, deren Wände schlüpfrig und unbesteigbar waren. Die Nächte setzten mir weniger zu, wenn ich meinen Topas wegsteckte und nichts von der überwältigenden Fülle der Sterne sah. Im Dunkeln konnte ich mir einbilden, irgendwo in Sicherheit zu sein – irgendwo, mit festem Boden unter den Füßen – in einem Festlandwald, ja, selbst in meinem eigenen Haus. Ich konnte mir einreden, das schaukelnde Boot sei eine Gishe aus geknüpftem Seil, und schlief dann tief und fest.
Tagsüber freilich schaffte ich es nicht, mir einzureden, mich irgendwo anders zu befinden als inmitten dieser erschreckend blauen, heißen, schattenlosen Weite. Glücklicherweise – denn sonst hätte ich gewiß den Verstand verloren – gab es tagsüber neben der endlosen, gleichgültigen Wasserwüste noch ein paar andere Dinge zu sehen. Dabei war es bei einigen dieser Dinge nicht gerade tröstlich, über sie nachzudenken, doch zwang ich mich, sie durch meinen Sehkristall zu betrachten, so genau die Umstände es mir erlaubten, und mir Gedanken darüber zu machen, was es wohl sein könne.
Da war der silberblaue Schwertfisch, größer als ich selbst, welcher mit Vorliebe steil aus dem Wasser hervorschießt und einen Augenblick auf seinem Schwanz tanzt. Des weiteren der womöglich noch größere Sägerochen, flach und braun und mit den verlängerten Flossen an den Seiten ähnlich den geschwungenen Hautlappen eines Flughörnchens. Beide erkannte ich an ihren bedrohlichen sägeähnlichen Schnauzen, welche manche Krieger von den Küstenstämmen als Waffen benutzten.
Da gab es unzählige kleine Geschöpfe mit langen Flossen, die sie benutzten wie Flügel, um aus dem Wasser herauszuschießen und beachtliche Strecken in der Luft dahinzugleiten. Ich hätte sie für eine Art Wasserinsekten gehalten, nur landete einer von ihnen in meinem Einbaum. Ich verzehrte ihn auf der Stelle, und da schmeckte er wie ein Fisch. Da waren gewaltige blaugraue Fische, welche mich mit erstarrtem Grinsen und wissenden Augen ansahen, doch schienen diese mehr verständnisvoll als bedrohlich. Viele von ihnen begleiteten mein Acáli über eine lange Zeit hindurch und unterhielten mich damit, indem sie in geübter Zweisamkeit kunstvoll aus dem Wasser heraus und durch die Luft sprangen.
Am sechsten oder siebenten Tag – gerade rechtzeitig, denn ich hatte den letzten Rest Fischwasser aus meiner Schale ausgeleckt; ich war eingefallen, über und über mit Bläschen bedeckt und völlig schlaff – jagte ein Regen gleich einem grauen Schleier über das Meer hinter mir, holte mich ein und fuhr über mich hinweg. Das erfrischte mich sehr, füllte überdies meine Schale, und ich trank sie zwei oder dreimal leer. Doch dann fing ich nachgerade an, mir Sorgen zu machen, denn der Regen hatte einen Wind mitgebracht, der Wogen auf dem Meer zusammentrieb. Mein Kanu wurde wie ein kleines Stück Holz hin und her geworfen, und bald saß ich da und schöpfte mit meiner Schale das Wasser aus, das hereingeschlagen war. Immerhin zog ich einigen Mut aus der Tatsache, daß Regen und Wind von hinten gekommen waren – aus dem Südwesten, wie ich annahm, da ich mich erinnerte, wo die Sonne zuvor gestanden hatte – und vermutlich wurde ich nicht noch weiter aufs Meer hinausgetrieben.
Wenn es auch keine Rolle spielte, wo ich schließlich unterging, wie ich müde überlegte, denn mittlerweile konnte ich es mir gar nicht mehr anders vorstellen, als daß ich irgendwann irgendwo untergehen müßte. Da Wind und Regen ohne Unterlaß weitergingen, und das Meer mein Acáli vor sich hintanzen ließen, konnte ich weder schlafen noch ruhen, sondern war unausgesetzt damit beschäftigt, das Wasser auszuschöpfen, welches in mein Kanu hereinschwappte. Ich war bereits so schwach, daß meine Schale mir jedes Mal, wenn ich sie füllte und den Inhalt über Bord goß, schwer in der Hand lag wie ein großer irdener Krug. Wiewohl ich keinen Schlaf finden konnte, glitt ich dennoch irgendwann in eine Art Dämmerzustand hinein, so daß ich nicht mehr sagen kann, wie viele Tage und Nächte auf diese Weise vergingen, doch muß ich wohl
Weitere Kostenlose Bücher