Der Azteke
Meine Freunde Cozcatl und Que-quelmiqui sind ihr liebende Tete und Teñe gewesen.« Trocken fügte ich noch hinzu: »Von irgendwelcher Hilfe deinerseits hat man in diesen beiden Jahren nichts gemerkt.«
»Und woran liegt das?« wollte sie hitzig wissen. »Warum hast du mir nicht einen Schnellboten schicken können, mir von dem Furchtbaren zu berichten? Vor einem Jahr erst wurde mir von einem vorüberziehenden Händler sang- und klanglos ein zerknitterter und schmutzbefleckter Brief in die Hand gedrückt. Meine Schwester war bereits ein Jahr tot, ehe ich überhaupt davon erfuhr! Und dann habe ich fast ein ganzes Jahr dazu gebraucht, einen Käufer für meine Herberge zu finden, alles für die Überschreibung in die Wege zu leiten und mich darauf vorzubereiten, für immer nach Tenochtítlan zu übersiedeln. Dann hörten wir, der Verehrte Sprecher Ahuítzotl werde immer schwächer und daher bald sterben, was bedeutete, daß unser Bishosu Kosi Yuela selbstverständlich an den Bestattungsfeierlichkeiten hier teilnehmen würde. Infolgedessen wartete ich, bis ich in seinem Gefolge mitreisen konnte; das war bequem für mich und bot mir gleichzeitig Schutz. Doch in Coyohuácan bin ich zurückgeblieben, weil ich nicht in das Gedränge derer hineingeraten wollte, die der Bestattung beiwohnten. Deshalb habe ich dem Jungen eine Kakaobohne gegeben, damit er herkomme und dir sage, daß ich bald eintreffen werde. Erst gestern morgen in aller Frühe bekam ich dann Träger für mein Gepäck. Ich entschuldige mich für den Zeitpunkt und die Umstände meiner Ankunft, aber …«
Sie mußte Atem holen, und da ich mich schämte, sagte ich aufrichtig: »Ich bin es, der sich entschuldigen muß, Béu. Du kommst gerade im richtigen Augenblick. Die Eltern, welche ich für Cocóton geborgt habe, mußten sich wieder um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Infolgedessen hat das Kind nur mich, und als Vater bin ich schrecklich unerfahren. Wenn ich sage, daß du hier willkommen bist, ist das kein Lippenbekenntnis. Als Ersatzmutter für meine Tochter kommst du selbstverständlich gleich nach Zyanya selbst.«
»Gleich nach Zyanya«, sagte sie und zeigte sich nicht sonderlich begeistert von dem Kompliment.
»Jedenfalls«, fuhr ich fort, »kannst du ihr beibringen, Lóochi genauso fließend zu sprechen wie unser Náhuatl. Du kannst sie zu einem ebenso wohlerzogenen Kind machen wie die vielen, die ich unter euch Wolkenmenschen bewundert habe. Ja, du bist wirklich der einzige Mensch, der dafür sorgen kann, daß sie all das ist, was Zyanya gewesen ist. Du weihst dein Leben einer sehr guten Sache. Diese Welt wird besser sein, wenn wieder eine Zyanya darin lebt.«
»Wieder eine Zyanya. Ja.«
»Betrachte dieses Haus hier bitte fürderhin als dein Zuhause«, schloß ich. »Sieh in dem Kind dein Mündel, und die Sklaven stehen dir zur Verfügung, du brauchst nur zu befehlen. Ich werde sie sofort damit beauftragen, daß deine Kammer leer geräumt, vollständig gesäubert und nach deinem eigenen Geschmack neu eingerichtet wird. Was du auch brauchst oder dir wünschst, Schwester Béu, du brauchst es nur zu sagen, nicht darum zu bitten.« Ihr schien etwas auf der Zunge zu liegen, doch besann sie sich dann offenbar eines Besseren. Ich sagte: »Und jetzt … da kommt Krümelchen selbst, sie ist zurück vom Markt.«
Das kleine Mädchen betrat in einem strahlenden, sonnenscheingelben Umhang den Raum. Lange sah sie Béu Ribé an und legte dann den Kopf auf die Seite, gleichsam, als versuche sie sich zu erinnern, ob sie dieses Gesicht nicht schon einmal gesehen hätte. Ich weiß nicht, ob ihr aufging, daß sie es schon oft im Spiegel gesehen hatte.
»Willst du nichts sagen?« fragte Béu, und ihre Stimme klang ein wenig gebrochen. »Ich habe solange darauf gewartet …«
Ein wenig verlegen und zaghaft sagte Cocóton atemlos: »Tene …?« »Ach, mein Liebling!« rief Wartender Mond. Die Tränen flossen ihr über, sie kniete sich hin, breitete die Arme aus, und das kleine Mädchen stürzte sich glücklich hinein.
»Der Tod!« donnerte der Hohepriester Huitzilopóchtlis von der Spitze der Großen Pyramide herunter. »Der Tod war es, welcher Euch den Umhang des Verehrten Sprechers um die Schultern gelegt hat, Herr Motecuzóma Xocóyotl, und wenn es soweit ist, daß Ihr selbst sterben müßt, werdet Ihr den Göttern Rechenschaft ablegen müssen darüber, wie Ihr diesen Umhang getragen und auf welche Weise Ihr dieses höchste aller Ämter ausgeübt habt.«
In
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