Der Azteke
Umhang, der stets von seinen Schultern bis auf den Boden reichte, immer aus den herrlichsten Federn der seltensten und kostbarsten Vögel gearbeitet und unweigerlich von allerfeinster, mühseligster Federarbeit. Er besaß Umhänge ganz aus scharlachroten Federn oder ganz aus gelben oder blauen oder grünen oder aus einem Gemisch von allen möglichen Farben. Derjenige jedoch, an den ich mich am lebhaftesten erinnere, war ein weit fallender Umhang ganz aus schillernden, vielfarbenen Kolibrifedern. Wenn ich Euch ins Gedächtnis zurückrufe, daß die größte Feder eines Kolibris kaum länger ist als die kleine, buschige Augenbraue eines Falters, vermögen Euer Exzellenz das Können des Federarbeiters und die Mühe und den Einfallsreichtum abzuschätzen, welche bei der Fertigung eines solchen Umhanges aufgewendet wurden – und von welch unschätzbarem Wert ein solches Kunstwerk war.
Während seiner beiden Jahre als Regent hatte Motecuzóma nicht im geringsten einen solchen Hang zu Üppigkeit und Prachtentfaltung erkennen lassen; jedenfalls nicht, solange Ahuítzotl noch am Leben war – oder halb am Leben. Motecuzóma und seine beiden Frauen hatten ein schlichtes Leben geführt und nur ein paar Räume des alten und damals bereits recht baufälligen Palastes bewohnt, den sein Großvater, Motecuzóma der Ältere, hatte erbauen lassen. Er hatte sich unauffällig gekleidet und allen Pomp und Aufwand von sich gewiesen; außerdem hatte er sich gehütet, alle Macht, welche mit der Regentschaft vermacht war, voll auszuüben. Er hatte keine neuen Gesetze erlassen, keine neuen Grenzsiedlungen gegründet und keine neuen Kriege begonnen. Er hatte sich ganz auf die Erledigung der alltäglichen Regierungsgeschäfte im Reich der Mexíca beschränkt, auf Dinge, die keinerlei gewichtige Entscheidungen und Bekanntmachungen erforderten.
Doch bei seiner Inthronisierung als Verehrter Sprecher, als Motecuzóma die düsteren blauen und schwarzen Gewänder ablegte, streifte er damit gleichzeitig auch alle Bescheidenheit ab. Das läßt sich vermutlich am besten dadurch beweisen, daß ich Euch berichte, wie es mir bei meiner ersten Unterredung mit ihm erging, ein paar Monate nach seiner Thronbesteigung, da er nacheinander alle Adligen und Ritter kommen ließ, um persönlich jene Untertanen kennenzulernen, die für ihn bis dahin nur Namen auf einer Musterrolle gewesen waren; allerdings glaube ich, daß er im Grunde damit die Absicht verfolgte, uns alle einzuschüchtern und mit seiner neuen Majestät- und Prachtentfaltung zu beeindrucken. Doch wie dem auch sei: Nachdem er sich endlich durch sämtliche Ränge von Höflingen, Edelleuten und Weisen Männern, Priestern, Sehern und Zauberern hindurchgearbeitet hatte, langte er schließlich bei den Adlerrittern an, und so erhielt denn auch ich zu gegebener Zeit eine Aufforderung, mich am Vormittag eines bestimmten Tages im Palast einzufinden. Ich tat es und litt neuerlich unter all meinen gefiederten Insignien und dem Kampfanzug, und der Kämmerer vor dem Thronsaal sagte:
»Würde der Adlerritter Mixtli bitte seine Uniform ausziehen?«
»Nein«, sagte ich entschieden. Es war schon mühevoll genug gewesen, hineinzukommen.
»Gebieter«, sagte er und schien ängstlich wie ein Kaninchen, »es hat auf ausdrückliche Anordnung des Verehrten Sprechers höchstpersönlich zu geschehen. Wenn Ihr bitte den Adlerhelm, den Umhang und die klauenbewehrten Sandalen ausziehen würdet? Über den Kampfanzug könnt Ihr dann dies hier ziehen.«
»Lumpen?« rief ich aus, als er mir ein formloses Gewand aus Agavenfasertuch reichte, wie wir es für die Herstellung von Säcken benutzen. »Ich komme nicht als Bittsteller, Mann! Wie könnt Ihr es wagen!«
»Bitte, Gebieter!« flehte er händeringend. »Ihr seid nicht der erste, dem das wider den Strich geht. Es ist aber Weisung ergangen, daß fürderhin alle, die vor den Verehrten Sprecher hintreten, barfuß und in Bettelkleidung kommen. Ich kann sonst nicht wagen, Euch vorzulassen. Es würde mich den Kopf kosten.«
»Das ist doch Unsinn«, knurrte ich, doch um das arme Kaninchen nicht in Ungelegenheiten zu bringen, nahm ich immerhin meinen Adlerhelm ab, legte Schild und Umhang ab und zog das Sackkleid über.
»Wenn Ihr jetzt eintretet …« schickte er sich an zu sagen.
»Danke«, schnitt ich ihm schnell das Wort ab, »aber ich weiß, wie ich mich in der Gegenwart hochstehender Persönlichkeiten zu betragen habe.«
»Es gibt aber einige neue Protokollvorschriften«,
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