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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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erlahmten, sie murrten und wimmerten. Keine zwei von ihnen konnten jemals gleichzeitig Pause machen, um ihr Wasser abzuschlagen; die Frauen verlangten, daß wir anhielten, damit sie ihren kleinen Kindern die Brust geben konnten; und die Priester dieses oder jenes Gottes verlangten, daß wir zu bestimmten Zeiten des Tages Pause machten, damit sie bestimmte rituelle Gebete verrichten könnten. Gab ich ein flotteres Tempo zum Weiterziehen an, beklagten die Trägeren unter ihnen sich, ich hetzte sie zu Tode. Und ließ ich sie langsamer vorrücken, klagten die anderen, sie würden noch an Altersschwäche sterben, ehe wir das Ziel der Reise erreicht hätten.
    Was mir die ganze Reise jedoch zu einem Vergnügen machte, war meine Tochter Nochipa. Genauso wie ihre Mutter Zyanya auf ihrer ersten Reise von daheim fort, stieß Nochipa nach jeder Wegbiegung, bei jedem neuen Ausblick auf die Landschaft freudige Schreie aus. Keine Landschaft war so gewöhnlich, daß nicht irgend etwas darin ihr Auge und ihr Herz erfreut hätte. Wir folgten der Haupthandelsroute in den Südosten, und dort gibt es in der Tat viel Schönes zu sehen, doch war die Straße mir und Béu und meinen vier alten Kriegern schon im Übermaße vertraut – und die Auswanderer waren außerstande, sich über irgend etwas zu freuen; sie konnten nur über ihre Leiden und Beschwerden klagen. Doch selbst wenn wir die öden und toten Landstriche Mictlans durchquert hätten, Nochipa würde alles neu und wunderschön gefunden haben.
    Manchmal trällerte sie Lieder wie Vögel, aus keinem anderen erkennbaren Grund, als daß sie geflügelte Geschöpfe waren und froh darüber, es zu sein. (Wie einst meine Schwester Tzitzitlíni, hatte Nochipa in ihrer Schule so manchen Preis für Singen und Tanzen errungen.) Wenn sie sang, hörten selbst die sonst immer und ewig Unzufriedenen unter den mir Anvertrauten eine Zeitlang mit ihrem Murren auf und lauschten. Und wenn sie nicht zu müde war vom Tagesmarsch, erhellte Nochipa die dunklen Nächte für uns, indem sie nach der Abendmahlzeit für uns tanzte. Einer von meinen alten Männern konnte recht gut auf seiner Tonflöte spielen und hatte sie mitgebracht. An den Abenden, da Nochipa tanzte, legte die ganze Gesellschaft sich weniger klagend auf dem harten Boden zum Schlafen nieder.
    Abgesehen davon, daß Nochipa uns die lange und ermüdende Reise erhellte, erinnere ich mich nur an ein Begebnis unterwegs, das mir aus dem Rahmen des Gewöhnlichen herauszufallen schien. Eines Abends, als wir unser Lager aufgeschlagen hatten, entfernte ich mich, um etliche Schritte aus dem Lichtkreis der Lagerfeuer an einem Baum mein Wasser abzuschlagen. Als ich später zufällig noch einmal an diesem Baum vorüberkam, sah ich Béu – welche mich ihrerseits nicht sah – etwas Einzigartiges tun. Sie kniete am Stamm dieses Baumes und scharrte ein wenig von der Erde zusammen, die ich mit meinem Wasser genetzt hatte.
    Vielleicht, so dachte ich, will sie einen heilenden Breiumschlag machen für jemand, der sich die Füße wundgelaufen oder sich den Fuß verstaucht hat. Weder unterbrach ich sie bei ihrem Tun, noch spielte ich später jemals darauf an.
    Gleichwohl sollte ich euch, ehrwürdige Patres, sagen, daß es unter uns gewisse Frauen gab, für gewöhnlich Greisinnen – ihr nennt sie Hexen –, welche sich in manchen Geheimkünsten auskannten. Eine ihrer Fähigkeiten besteht darin, ein rohes Abbild von einem Mann zu machen und dabei feuchte Erde von einem Fleck zu benutzen, wo er kurz zuvor sein Wasser abgeschlagen hatte, und diese Puppe dann bestimmten schmachvollen Behandlungen zu unterziehen, um auf diese Weise den Mann unerklärliche Schmerzen leiden zu lassen, eine Krankheit herbeizurufen, Wahnsinn oder Begierde oder Gedächtnisverlust, ja, selbst den Verlust all seines Habs und Guts, bis er völlig verarmt wäre. Ich hatte jedoch keinen Grund anzunehmen, daß Wartender Mond ihr Leben lang eine Hexe gewesen sei, ohne daß ich es jemals gemerkt hätte. Ich tat ihr Vorgehen an diesem Abend als reinen Zufall ab und vergaß es vollständig – bis es mir viel später wieder einfallen sollte.
    Nachdem wir Tenochtltlan rund zwanzig Tagesmärsche hinter uns hatten – eine Strecke, die ein erfahrener und nicht durch schwere Traglasten behinderter Reisender in zwölf Tagen geschafft hätte –, langten wir in dem Dorf Huajuápan an, das ich von früher her kannte. Nachdem wir die Nacht dort verbracht hatten, bogen wir scharf nach Nordosten ab und folgten von

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