Der Azteke
Hütte, so erzählte man mir, liege eine Schwangere, welche ihrer Zeit entgegensah, aus welchem Grunde dieses Lager übrigens für längere Zeit aufgeschlagen worden war, also möglicherweise für ein paar Tage und nicht nur, wie sonst, nur für eine Nacht. Der Rest des Stammes verschmähte jeden Unterschlupf. Männer, Frauen, ja, sogar die kleinen Kinder schliefen auf dem nackten Boden, wie auch ich es in der letzten Zeit getan hatte, doch statt auf einer weichen Decke aus zu Filz verarbeitetem Kaninchenhaar, benutzten sie nur alte, schmutzigstarre und zerrissene Hirschfelle. Ähnlich verschmutzte Felle bildeten auch die wenigen Kleidungsstücke, die sie trugen: Schamtücher für die Männer, form- und ärmellose knielange Gewänder für die Frauen und gar nichts für die Kinder, nicht einmal für diejenigen, die fast schon erwachsen waren.
Das Schlimmste am ganzen Lager war jedoch der Gestank, den nicht einmal die unendliche freie Luft um sie herum zu vertreiben vermochte, und ihr Geruch war jener der Hundsmenschen, von denen jeder einzelne weit schmutziger war als nur je ein Hund. Es könnte bezweifelt werden, daß ein Mensch in der Wüste schmutzig werden kann, denn Sand ist schließlich so sauber wie Schnee. Doch diese Menschen besudelten sich hauptsächlich mit ihrem eigenen Schmutz, ihren eigenen Ausscheidungen, ihrer eigenen Nachlässigkeit. Sie ließen ihren Schweiß am Körper trocknen, welcher demzufolge alle anderen Fette und ihren Grind überkrustete, welche der Körper normalerweise in unmerklichen Flocken abstößt. Jede Runzel und Falte ihrer Haut wies deutlich die Spuren dieser Unreinheiten auf: Knöchel, Handgelenke, Hals, Armbeuge und Kniekehlen. Ihr Haar wippte ihnen verklebt um den Kopf und nicht als Strähnen, und auf diesem fettigen Filz wimmelte es von Flöhen und Läusen. Ihre Lederkleidung war ebenso wie ihre Haut außerdem durchtränkt mit dem Geruch von Rauch, getrocknetem Blut und ranzigem Tierfett. Alles in allem war dieser Gestank überwältigend, und wenn ich ihn zuletzt auch nicht mehr zur Kenntnis nahm, hielt ich die Chichiméca doch lange Zeit hindurch für die dreckigsten Menschen, die ich jemals kennengelernt habe – und für diejenigen, denen dieser Dreck nicht im geringsten etwas ausmachte.
Alle hatten außerordentlich einfache Namen – Zoquitl etwa oder Nacatl oder Chachápa – Schlamm, Fleisch und Wolkenbruch –, Namen, die jämmerlich schlecht zu ihrem unwirtlichen und kaum Nahrung bietenden Lebensraum paßten; vielleicht entsprangen diese Namen aber auch einem verständlichen Wunschdenken. Fleisch hieß zum Beispiel der junge Mann, der sich selbst gerade eben zum Witwer gemacht und mich aufgefordert hatte, ihn in sein Lager zu begleiten. Er und ich ließen uns an einem Kochfeuer nieder, welches – ein wenig abseits von den Feuern der Familiengruppen – von ungebundenen Junggesellen unterhalten wurde. Fleisch und seine Freunde wußten bereits, daß ich ein Mexícatl war, doch war ich mir voller Unbehagen bewußt, daß ich nicht wußte, welchem Stamm oder Volk ich sie zuzuordnen hätte. Während einer der Männer eine Schöpfkelle aus einem Yucca-Blatt benutzte, um jedem von uns ein unidentifizierbares Gericht auf ein gebogenes Stück Blatt Schwarzgrüner Agave zu füllen, sagte ich:
»Wie du wahrscheinlich weißt, Fleisch, sind wir Mexíca es gewöhnt, alle Wüstenbewohner als Chichiméca zu bezeichnen. Ihr habt doch aber ohne Zweifel einen Namen, wie ihr euch selbst nennt.«
Er deutete auf die verstreuten Lagerfeuer und sagte: »Wir hier gehören zum Tecuéxe-Stamm. Es gibt noch viele andere Stämme in der Wüste – Pame, Janámbre, Hualahuise und so weiter –, aber es stimmt, wir sind alle Chichiméca, denn wir haben alle eine rote Haut.« Bei mir dachte ich, daß er und seine Stammesgenossen mehr nach grauem Schmutz aussähen. Fleisch schluckte einen Happen von dem Gericht hinunter und meinte: »Du bist ja auch ein Chichimécatl. Nicht anders als wir.«
Als die Rarámuri mich so genannt hatten, war mir das wider den Strich gegangen. Daß aber ein Wilder aus der Wüste nun auch die Stirn hatte zu behaupten, er sei mit den hochzivilisierten Mexíca verwandt, empfand ich als ungeheuerlich. Aber er hatte es so gleichmütig gesagt, und mir ging auf, daß er keineswegs anmaßend sein wollte. Es stimmte ja auch: Unter dem ganzen Schmutz waren Fleisch und die anderen Tecuéxe von der gleichen kupferfarbenen Hautfarbe wie ich und jeder andere Mensch, den ich kannte.
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