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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Bei den Stämmen und den einzelnen Menschen unserer Rasse gingen die Unterschiede vom blassesten Rotgold bis zum Rotbraun der Kakaobohne, doch allgemein gesprochen war die Bezeichnung »rothäutig« die unpassendste.
    Und so begriff ich: Diese schmutzstarrenden, halbnackten, unwissenden Nomaden glaubten offensichtlich, daß sich ihr Name Chichiméca nicht vom Chichine-Hund herleitete, sondern von dem Wort chichiltic – Rot. Und ein Mensch, der das meinte, konnte im Ausdruck Chichiméca selbstverständlich nichts Schimpfliches sehen. Damit bezeichnete man jeden Menschen in jeder Wüste, jedem Dschungel und jeder zivilisierten Stadt in Der Einen Welt.
    Ich schlug mir weiterhin meinen dankbaren Bauch voll – das Gericht knirschte zwischen den Zähnen, denn es war Sand darin, doch sonst war es recht schmackhaft, und dachte weiter über die Verbindungen und Beziehungen zwischen den verschiedenen Völkern nach. Fleisch hatte von der unvorsichtigen Krankenbettbeichte seiner Frau vor Tlazoltéotl gesprochen, und so wußte ich bereits, daß die Chichiméca die Göttin Kot Fresserin kannten. Später erfuhr ich, daß sie die meisten anderen unserer Götter gleichfalls verehrten. Doch in ihrer Abgeschiedenheit und Unwissenheit hatten sie eine ganz bestimmte Gottheit ganz für sich allein erfunden. Sie hingen dem lachhaften Glauben an, daß die Sterne Schmetterlinge aus Obsidian seien und das Glitzern der Sterne nichts weiter als der Widerschein des Mondlichts auf den flatternden Flügeln aus eben jenem schimmernden Stein. Infolgedessen hatten sie eine Göttin erfunden – Itzpapálotl, Obsidian Schmetterling –, welche sie als höchste aller Götter verehrten. Nun, in der Wüstennacht schimmern die Sterne in der Tat strahlend hell und schienen – den Schmetterlingen gleich – eben außer Reichweite über einem in der Luft zu stehen.
    Doch selbst wenn die Chichiméca etliches mit zivilisierteren Völkern gemein haben, ja, auch wenn sie meinen, ihr Name besage nichts weiter, als daß alle rothäutigen Völker irgendwie entfernt miteinander verwandt seien, machen sie sich kein Gewissen daraus, auf Kosten dieser Verwandten zu leben – seien es nun entfernte oder nahe. An jenem ersten Abend, da ich das Mahl mit den Tecuéxe teilte, bestand dieses aus Brocken zarten weißen Fleisches, welches sich leicht von zarten Knochen löste, die für meine Begriffe nicht die Knochen von Eidechsen oder Kaninchen oder die anderer Tiere sein konnten, denen ich in der Wüste begegnet war. Deshalb erkundigte ich mich:
    »Fleisch, was ist das für ein Fleisch, das wir da essen?«
    Er grunzte: »Baby.«
    »Baby was?«
    Er wiederholte nur: »Baby« und zuckte mit den Achseln. »Essen in schweren Zeiten.« Er erkannte, daß ich noch immer nicht begriff, und so erklärte er es mir: »Manchmal verlassen wir die Wüste und plündern ein Otomi-Dorf und nehmen unter anderem ihre Kleinkinder mit. Oder wir kämpfen mit anderem Chichiméca-Stamm in der offenen Wüste. Zieht der besiegte Stamm sich zurück, muß er diejenigen kleinen Kinder, die noch nicht laufen können, zurücklassen. Da solche winzigen Gefangenen zu nichts anderem zu gebrauchen sind, werden sie ausgeweidet und in der Sonne getrocknet oder über einem Mizquitl-Feuer geräuchert, daß sie sich lange halten, ohne zu verderben. Sie wiegen so wenig, daß jede von unseren Frauen ohne weiteres drei oder vier davon am Leibriemen tragen kann. Sie werden mitgenommen und erst dann zubereitet und verzehrt, wenn – wie das heute der Fall war – Obsidian Schmetterling es versäumt, uns Wild für unsere Pfeile zu schicken.«
    Ich sehe es euren Gesichtern an, daß ihr diese Gepflogenheit als verwerflich betrachtet, ehrwürdige Patres. Freilich muß ich gestehen, daß ich gelernt habe, fast alles Eßbare zu essen, und zwar mit genausoviel Appetit und mit genausowenig Ekel wie irgendein Chichimécatl, denn im Laufe meiner Wüstenwanderungen erkannte ich, daß es kein Gesetz gibt, welches gebieterischer wäre als das von Hunger und Durst. Gleichwohl legte ich nicht alle Gewohnheiten und alle Unterscheidungskraft der Zivilisation ab. Die Chichiméca kannten andere ausgefallene Speisen, die ich auch unter den schlimmsten Entbehrungen nicht anrühren würde.
    Ich folgte Fleisch und seinen Gefährten solange, wie ihre Wanderzüge mehr nach Norden als nach Süden führten, wo ich schließlich nicht hinwollte. Dann, als die Tecuéxe beschlossen, nach Osten abzubiegen, war Fleisch so freundlich, mich ins Lager

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