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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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»Aber wir wollen dafür sorgen, daß sie verschwindet, und dann würdest du vielleicht gern mitkommen und unser Mahl in unserem Lager mit uns teilen.«
    »Mit Freuden«, sagte ich, und mein leerer Magen knurrte. Doch was dann geschah, hätte mir ums Haar jeden Appetit verdorben.
    Der Mann trat zu seiner im Sand sitzenden Frau hinüber und bewegte sie auf eine Art, auf die ich nie verfallen wäre. Ich hatte versucht, sie hinzulegen. Er packte sie unter den Achseln und hob sie in die Höhe, Gleichwohl wollte sie sich nur widerstrebend von der Stelle bewegen, und er mußte sichtlich alle Kraft aufbieten. Es gab einen schaurigen, schmatzenden und reißenden Laut, gleichsam als hätte das Gesäß der Toten nun doch Wurzeln in die Erde geschickt. Dann löste sie sich von dem spitzen Pfahl, mit dem sie gepfählt worden war.
    Da begriff ich, warum der Mann gesagt hatte, es sei nicht leicht, eine gute Hinrichtungsstätte in der Wüste zu finden, mußte doch ein Baum von gerade der richtigen Größe zur Verfügung stehen, einer, der kerzengerade in die Höhe wuchs und überm Boden keine Wurzeln aufwies, welche hinderlich im Weg gewesen wären. In diesem Fall war der Pfahl ehemals ein junger Mizquitlstamm gewesen, ungefähr von der Dicke meines Unterarms, in Kniehöhe gekappt und dann zugespitzt, doch sonst mit der rauhen Borke belassen, wie er war. Ich überlegte, ob der betrogene Ehemann seine Frau wohl behutsam auf die Spitze des Stamms gesetzt und sie nur langsam das grausam borkenbesetzte Ende hatte herunterrutschen lassen, oder ob er gnädiger von oben nachgeholfen haben mochte. Ich sann darüber nach, aber nachzufragen wagte ich nicht.
    Als die neun Männer mich in ihr Lager führten, wurde ich dort herzlich willkommen geheißen und mit größter Zuvorkommenheit behandelt, solange ich bei ihnen blieb. Sie hatten all meine Habseligkeiten gründlich durchsucht, jedoch nichts gestohlen, nicht einmal meinen kleinen Vorrat an halbmondförmigen Zahlungsmitteln aus Kupferblättchen. Gleichwohl, meine ich, würden sie mich wohl ganz anders behandelt haben, hätte ich irgend etwas von Wert bei mir gehabt oder eine Kolonne schwerbeladener Träger angeführt. Immerhin waren diese Männer Chichiméca.
    Dieser Name wird unter uns Mexíca immer voller Verachtung, Hohn, oder Abscheu ausgesprochen, etwa so, wie ihr Spanier von »Barbaren« und »Wilden« sprecht. Wir leiteten die Bezeichnung von Chichine her, einem unserer Wörter mit der Bedeutung »Hund«. Wenn wir Chichiméca sagten, meinten wir für gewöhnlich jene Hundsvolkmenschen, unter denen ich jetzt weilte: die heimatlosen, ungewaschenen, stets umherziehenden Nomadenstämme der Wüste nicht weit im Norden der Otomi-Lande. Diejenigen, die nördlich von uns lebten, wurden von uns Mexíca schon genügend verachtet, doch wurde allgemein angenommen, daß es noch andere, auf noch niedrigerer Stufe stehende Stämme gab. Nördlich von den Hundsmenschen sollten womöglich noch wildere Wüstenstämme leben, die wir als Téochichiméca bezeichneten – »Die Noch Schlimmeren Hundsmenschen«. Und im äußersten Norden der Wüste sollten noch furchterregendere Stämme leben, die wir Zácachichiméca nannten, was soviel heißt wie »Die Verruchtesten Aller Hundsmenschen«.
    Das erste Lager, welches ich besuchte – das einzige Zuhause, das diese Menschen kannten –, war nichts weiter als ein Fleck Wüste, auf dem sie sich niedergelassen hatten, weil sie wußten, daß unter der Erde ein spärliches Rinnsal floß, an welches sie herankommen konnten, indem sie gerade an dieser Stelle ein tiefes Loch in den Boden gruben. Das einzige, was an diesem Lager vertraut war, waren die Feuerstellen der sechzehn oder achtzehn Familien dieses Stammes. Bis auf die einfachsten Kochtöpfe und Küchengeräte fehlte es an allem und jedem. Neben jedem Feuer lagen auf einem Haufen die Jagdwaffen und Werkzeuge der Familie: ein Bogen und ein paar Pfeile, ein Wurfspieß samt Atlatl, ein Messer zum Abhäuten, eine Axt zum Fleischhauen und dergleichen. Nur ganz wenige von diesen Gerätschaften wiesen Spitzen oder Schneiden aus Obsidian auf, da dieses Gestein in jenen Gegenden nur selten vorkommt. Die Mehrzahl der Waffen bestand aus kupferhartem Quauxelolóni-Holz, welches sie höchst geschickt mit Hilfe des Feuers zu formen und zu schärfen verstanden.
    Selbstverständlich gab es keinerlei feste Häuser und nur zwei leichtgebaute Hütten, kunstlos aus roh zusammengestellten Ästen und Zweigen errichtet. In jeder

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