Der Azteke
Körperschmutz und einige Federn im strähnigen Haar. Insgesamt waren es neun Männer. Zugegebenermaßen war ich vollauf mit meinem sonderbaren Fund beschäftigt gewesen, und sie hatten sich alle Mühe gegeben, lautlos näherzukommen, doch hätte ihr Geruch sie verraten müssen, längst ehe sie bei mir waren, denn ihr Gestank war der gleiche wie der der toten Frau, nur verneunfacht.
»Die Chichiméca«, sagte ich zu mir, oder vielleicht sagte ich es auch laut. Auf jeden Fall sagte ich zu ihnen: »Ich bin gerade zufällig auf diese unglückliche Frau gestoßen. Ich habe versucht, ihr zu helfen.«
Da ich das in aller Eile sehr hastig hervorstieß und hoffte, sie dadurch davon abhalten zu können, ihre Pfeile auf mich abzuschießen, hatte ich in meiner Muttersprache Náhuatl gesprochen. Gleichwohl unterstrich ich meine Worte mit Gebärden, von denen ich meinte, daß auch Wilde sie verstehen müßten. Doch zu meiner Verwunderung sagte einer der Männer – und zwar derjenige, welcher mir die Pfeilspitze in die Schultern gedrückt hatte, ein Mann etwa meines Alters und auch annähernd so groß wie ich – in leicht verständlichem Náhuatl:
»Die Frau ist meine Frau.«
Ich räusperte mich und sagte mitfühlend, wie man es tut, wenn man etwas Trauriges mitzuteilen hat: »Ich bedauere sagen zu müssen, daß sie deine Frau war. Sie scheint vor kurzem gestorben zu sein.« Der Pfeil des Chichimécatl – die Pfeile aller – blieben weiterhin auf mich gerichtet, und so beeilte ich mich hinzuzufügen: »Ich habe ihren Tod nicht verursacht. Ich habe sie schon so vorgefunden. Und ich wollte sie auch keineswegs belästigen, selbst wenn ich sie noch
lebend angetroffen hätte.«
Der Mann stieß ein mißtönendes, humorloses Lachen aus.
»Ja«, fuhr ich weiter fort, »ich wollte ihr den Gefallen tun, sie zu begraben, ehe die Aasgeier über sie herfielen.« Ich zeigte auf die Stelle, wo mein Maquáhuitl lag.
Der Mann sah auf die Mulde, die ich angefangen hatte zu machen, dann hinauf zu einem Aasgeier, welcher bereits zu unseren Häupten kreiste, dann wieder auf mich, und sein Gesichtsausdruck wurde etwas freundlicher. Er sagte: »Das war gut gemeint von dir, Fremder«, senkte den Pfeil und entspannte die Bogensehne.
Die anderen acht Chichiméca taten es ihm nach und steckten sich die Pfeile ins struppige Haar. Einer von den Männern ging hin, hob mein Maquáhuitl auf und betrachtete es anerkennend; ein anderer wühlte unter meinen Habseligkeiten. Vielleicht mußte ich mich damit abfinden, noch der wenigen Dinge beraubt zu werden, die ich bei mir hatte, doch offenbar sollte es mir erspart bleiben, sogleich als Missetäter getötet zu werden. Um die Atmosphäre von Freundschaftlichkeit aufrechtzuerhalten, sagte ich zu dem frischverwitweten Ehemann:
»Dein Verlust betrübt mich sehr. Deine Frau war jung und hübsch. Woran ist sie denn gestorben?«
»Daran, daß sie eine schlechte Frau war«, erklärte er düster. Dann sagte er: »Sie ist von einer Klapperschlange gebissen worden.«
Ich konnte keine Verbindung zwischen seinen beiden Äußerungen sehen und wußte nichts anderes zu sagen als: »Merkwürdig. Sie scheint überhaupt nicht krank gewesen zu sein.«
»Nein, von dem Gift hat sie sich erholt«, knurrte er, »aber erst, nachdem sie Kot Fresserin ihre Beichte abgelegt hatte, und ich war dabei. Die einzig böse Tat, welche sie Tlazoltéotl beichtete, war, daß sie einem Mann von einem anderen Stamm beigewohnt hatte. Und dann hatte sie das Pech, nicht am Schlangenbiß zugrunde zu gehen.«
Betrübt schüttelte er den Kopf. Ich tat desgleichen. Dann fuhr er fort:
»Wir haben gewartet, bis sie wieder ganz gesund war, denn es hätte sich nicht geziemt, eine sieche Frau hinzurichten. Als es ihr wieder gut ging und sie wieder bei Kräften war, haben wir sie hierhergebracht. Heute morgen. Zum Sterben.«
Ich starrte die sterbliche Hülle der Verblichenen an und überlegte, welche Hinrichtungsart es gewesen sein könne, welche kein anderes Zeichen hinterließ als starrende Augen und einen schweigend aufgerissenen Mund.
»Jetzt sind wir gekommen, um sie zu holen«, schloß der Witwer. »In der Wüste findet man nicht so leicht eine gute Hinrichtungsstätte, und so wollen wir diese hier nicht entweihen, indem wir unsere Leiche hierlassen, damit Aasgeier und Kojoten von ihr angezogen werden. Es war sehr zuvorkommend von dir, Fremder, gleichfalls daran gedacht zu haben.« Kameradschaftlich legte er mir die Hand auf die Schulter.
Weitere Kostenlose Bücher