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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Mizquitl-Baum mit Samenschoten behängt – frischen grünen diesjährigen und verschrumpelten braunen vom letzten Jahr. Die grünen Schoten lassen sich in Wasser zart kochen, zu Brei zerdrücken und ergeben dann ein schmackhaftes Mahl. Die trockenen Samenkörner in den braunen Schoten lassen sich zwischen Steinen zermahlen und ergeben gleichfalls ein Gericht. Das geschrotene Pulver läßt sich wie Pinóli mitführen, und wenn kein frischeres Essen vorhanden ist, mit Wasser vermischen und kochen. Nun, ich habe überlebt und bin in dieser furchtbaren Wüste ein ganzes Jahr lang umhergewandert. Aber ich brauche bei der Beschreibung nicht weiter zu verweilen, da ein Ein Langer Lauf sich vom anderen durch nichts unterschied. Ich möchte nur noch hinzufügen – falls ihr, ehrwürdige Patres, euch die Weite und Leere der Wüste immer noch nicht recht vorstellen könnt –, daß ich mindestens einen Mond lang darin umhergezogen war, ehe ich auf ein anderes menschliches Wesen stieß.
    Da sie genauso staubfarben war wie die Wüste, hielt ich sie aus der Ferne für nichts weiter denn einen sonderbar geformten Sandhaufen, doch als ich näherkam, erkannte ich, daß es sich um eine menschliche Gestalt handelte. Da ich nun so lange allein gewesen war, rief ich ihr freudig erregt einen Gruß zu, erhielt jedoch keine Antwort. Im Weitergehen rief ich deshalb noch einmal und erhielt immer noch keine Antwort, wiewohl ich mittlerweile nahe genug herangekommen war, um zu erkennen, daß die Gestalt den Mund weit aufgerissen hatte, so daß ich hätte meinen können, sie schrie.
    Dann stand ich über diese Gestalt gebeugt, einer nackten Frau, die auf dem Boden saß und mit einer feinen Sandschicht bedeckt war. Wenn sie tatsächlich geschrien hatte – jetzt tat sie es nicht mehr, denn sie war tot, wiewohl sie Mund und Augen aufgerissen hatte. Die Beine weit von sich gespreizt, und die Hände fest auf den Boden gesetzt, saß sie da, als ob sie im Sterben versucht hätte, sich mit aller Macht in die Höhe zu stemmen. Ich berührte sie an der staubbedeckten Schulter; ihr Fleisch war weich und nachgiebig und noch nicht erkaltet; lange konnte sie also noch nicht tot sein. Sie stank vor Ungewaschenheit, wie ich zweifellos auch, und in ihrem Haar wimmelte es derart von Sandflöhen, daß es sich bewegt hätte, wäre es nicht so verklebt gewesen. Gleichwohl – hätte man sie tüchtig gebadet und gewaschen, wäre sie von schönem Gesicht und angenehmer Gestalt gewesen. Und da sie jünger war als ich und keinerlei Zeichen von irgendeiner Krankheit oder Verwundung erkennen ließ, fragte ich mich verwirrt, woran sie wohl gestorben sein mochte.
    Ich warf mein Bündel und meinen Wasserbeutel zu Boden und begann, mit meinem Maquáhuitl den Boden in der Nähe aufzuscharren. Doch wollte es mir scheinen, als hätte sie die Augen vorwurfsvoll auf mich gerichtet, und so fand ich, sie könne sich genausogut hinlegen und ausruhen, solange ich ihr Grab schaufelte. Ich ließ daher meine Klinge fallen und packte die Frau bei den Schultern, um sie hinzulegen – und sollte eine Überraschung erleben. Sie widerstand dem Druck meiner Hände, ja, wollte unbedingt sitzen bleiben, als ob sie eine ausgestopfte Puppe wäre, so zusammengenäht, daß sie in der Mitte eingeknickt blieb. Mir wollte nicht in den Kopf, warum dieser Körper sich so widersetzte; die Leichenstarre hatte noch nicht eingesetzt, was ich mir dadurch bewies, daß ich einen ihrer Arme in die Höhe hob und feststellte, daß er ganz schlaff war. Abermals versuchte ich, sie zu bewegen, und ihr Kopf wackelte auch hin und her, aber der Rest ihres Körpers wollte sich nicht von der Stelle rühren. Ein aberwitziger Gedanke kam mir. Ob Wüstenmenschen, wenn sie starben, wohl Wurzeln schlagen, die bewirkten, daß sie blieben, wo sie einmal waren? Ob sie sich wohl allmählich in jene riesigen, oft jedoch menschenähnlich geformte Quinámetin-Kakteen verwandelten?
    Ich trat zurück und betrachtete den unbegreiflich störrischen Leichnam – und erlebte abermals eine böse Überraschung, als ich unversehens einen scharfen Druck zwischen meinen Schulterblättern verspürte. Ich fuhr herum und stand inmitten eines Halbkreises von starrend auf mich gerichteten Pfeilen.
    Jeder dieser Pfeile saß auf einer angespannten Bogensehne, die Bogen wiederum wurden von zornig die Stirn runzelnden Männern gehalten, und jeder dieser Männer trug nichts weiter als ein fettiges Schamtuch aus zerfetztem Leder, eine Kruste

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