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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Arbeit getan war, suchte ich und suchten alle anderen Knaben über sieben Jahren aus sämtlichen Dörfern und Wohnsitzen Xaltócans entweder das Haus der Leibesstärkung oder – Knaben und Mädchen gemeinsam – das Haus des Manierenlernens auf.
    In ersterer Schule mußten wir Jungen uns sehr harten Leibesübungen unterziehen, wurden wir in der Kunst des Tlachtli-Ballspiels sowie im Umgang mit Kriegswaffen unterwiesen. In letzterer Schule erhielten wir und die Mädchen unseres Alters einen skizzenhaften Überblick über die Historie unseres Volkes und anderer Völker; etwas eingehender wurden wir in dem Wesen unserer Götter und den zahlreichen ihnen gewidmeten Festen unterwiesen und lernten die Kunst des Tempelgesangs, des Tempeltanzes und der Beherrschung der verschiedenen Musikinstrumente, wie sie zur Feier aller dieser religiösen Feste dazugehörten.
    Nur in diesen Telpochcáltin oder Niederen Schulen hatten wir als Gleichgestellte Umgang mit den Kindern des Adels, aber auch mit einigen nachweislich aufgeweckteren Sklavenkindern, welche dieses Vorrecht verdienten. Diese einfache Bildung, bei welcher es vornehmlich um Höflichkeit, Frömmigkeit, Anmut und Geschicklichkeit ging, wurde für uns Kinder der Gemeinfreien als ausreichend angesehen und galt für die Handvoll Sklavenkinder, die man für wert und fähig erachtete, überhaupt einer Ausbildung teilhaftig zu werden, als eine besondere Ehre.
    Gleichwohl konnte keiner der Sklavenjungen und nur wenige von uns Gemeinfreien – Mädchen ohnehin niemals, nicht einmal die Töchter der Adligen – jemals eine höhere Bildung erlangen als diejenige, wie sie in den beiden Häusern der Leibesstärkung und des Manierenlernens vermittelt wurde. Die Söhne des Adels verließen für gewöhnlich die Insel, um eine der Calmécactin zu besuchen, da es solche Höheren Schulen auf Xaltocan nicht gab. Den Lehrkörper für diese gehobenen Stätten des Lernens stellte ein besonderer Priesterorden, und wer dort studierte, wurde entweder später selbst Priester oder Regierungsbeamter, Schreiber, Historiker, Künstler oder Heilkundiger oder ergriff irgendeinen anderen Beruf, der einer besonderen Ausbildung bedurfte. Der Besuch einer Cal-mécac war einem Jungen von einfachem Herkommen zwar nicht versagt, doch waren Unterricht und Unterbringung dort so teuer, daß die meisten Familien der Gemeinfreien ihn sich nicht leisten konnten – es sei denn, jemand hätte sich in der Niederen Schule so hervorgetan, daß er ohne Bezahlung aufgenommen wurde.
    Und ich muß gestehen, daß ich mich überhaupt nicht auszeichnete, weder im Haus des Manierenlernens noch im Haus der Leibesstärkung. Wie gut ich mich erinnere! Als ich zum erstenmal am Musikunterricht in der Schule des Manierenlernens teilnahm, forderte mich der Lehrmeister der Knaben auf, etwas vorzusingen, damit er meine Stimme beurteilen könne. Ich tat, wie geheißen, er fällte sein Urteil und sagte: »Das zu hören war schon erstaunlich – nur glaube ich nicht, daß es Gesang war. Wir werden sehen, wie du dich an einem Instrument machst.«
    Als ich mich gleichermaßen unfähig erwies, auf der Flöte mit den vier Löchern auch nur die einfachste Melodie zu spielen, und nicht einmal den unterschiedlich gestimmten Trommeln etwas Wohltönendes zu entlocken vermochte, steckte der Lehrmeister mich ärgerlich in eine Gruppe, welche einen der Anfängertänze, genannt Donnerschlange, einübte. Dabei macht jeder Tänzer unter Stampflauten einen Sprung vorwärts, vollführt dann eine volle Kehrtwendung, läßt sich auf ein Knie nieder, dreht sich in dieser hockenden Stellung nochmals um sich selbst und vollführt unter Gestampf nochmals einen Sprung vorwärts. Führen Jungen und Mädchen, die sich in einer Reihe aufgestellt haben, diese Bewegungen in rascher Folge nacheinander aus, entsteht ein ständiges Geräusch des Schleifens und wird dem Auge die Vorstellung vermittelt, als winde eine lange Schlange sich vorwärts. Zumindest sollte dieser Eindruck erweckt werden.
    »Das ist die erste Donnerschlange mit einem Knoten darin, die ich erlebe!« rief die Lehrmeisterin der Mädchen.
    »Raus aus der Reihe, Malinqui!« rief der Lehrmeister der Knaben laut.
    Von Stund an war ich für ihn Malinqui, Knoten. Und mein einziger Beitrag zu Musik und Tanz, wenn die Schüler bei feierlichen Anlässen auf dem Pyramidenplatz unserer Insel öffentlich auftraten, bestand darin, die Schildkrötentrommel mit einem Paar kleiner Hirschhörner zu bearbeiten oder

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