Der Azteke
erstes lernt ihr jetzt die verschiedenen Schlachtrufe«, erklärte Blut Schwelger. »In der Schlacht selbst werden euch selbstverständlich Muschelhornbläser und Trommler mit dumpfen Trommeln begleiten. Dazu muß aber noch euer eigenes Feldgeschrei kommen und müßt ihr mit der Faust oder euren Waffen gegen eure Schilde schlagen. Aus eigener Erfahrung, meine jungen Freunde, weiß ich, daß ein überwältigendes Getöse eine Waffe an sich sein kann. Das kann einen Mann schon das Fürchten lehren, sein Blut verwässern, seine Sehnen schwächen, ja, ihn sogar dazu bringen, Blase und Darm zu entleeren. Ihr müßt diesen Lärm einfach machen; ihr werdet feststellen, daß es euch in doppelter Weise hilft: er stärkt eure eigene Kampfentschlossenheit und jagt dem Gegner Schrecken ein.«
Und so übten wir wochenlang, noch ehe wir irgendwelche Spielzeugwaffen tragen durften, gellend den Schrei des Adlers auszustoßen, das heisere Fauchen des Jaguars, den langgezogenen Schrei der Eule und das Alalala-Gekreisch des Papageien. Wir lernten, durch Sprünge vorgetäuschte Schlachtenlüsternheit zu bekunden, durch Drohgebärden einzuschüchtern, wilde Fratzen zu schneiden, um zu bedrohen und auf unsere Schilde zu trommeln, bis sie sich vom Blut unserer Fäuste röteten.
Andere Völker kämpften mit anderen Waffen als jenen, auf die wir Mexíca uns verließen; etliche von unseren Kampfverbänden waren mit Waffen ausgerüstet, die besonderen Zwecken dienten; außerdem stand es jedem einzelnen frei, die Waffe zu benutzen, in deren Handhabung er es am weitesten gebracht hatte. Zu diesen zählten: die Lederschlinge zum Schleudern von Steinen, die stumpfe Steinaxt zum Umsichschlagen, der aus Knochen bestehende Dreizackspeer, dessen Ende Einkerbungen aufwies, die besonders bösartige Wunden rissen, sowie das einfach aus der gezahnten Schnauze des Sägerochens bestehende Schwert. Doch die Grundausrüstung der Mexíca-Krieger bestand aus vier Waffen.
Zur Eröffnung der Feindseligkeiten auf große Entfernung hin dienten Pfeil und Bogen. Wir Schüler übten lange Zeit mit Pfeilen, an denen statt einer Spitze aus scharfem Obsidian ein weicher Pfropf aus Óli saß. Nun ließ unser Lehrmeister an die zwanzig von uns Jungen in einer Reihe Aufstellung nehmen und sagte:
»Stellt euch vor, der Feind steht bei jenem Nopáli-Kaktus dort drüben.« Mit diesen Worten deutete er auf etwas, was rund hundert Schritt entfernt war und sich meinen umnebelten Augen nur als verschwommener grüner Fleck darbot. »Ich möchte, daß ihr die Bogensehne ganz zurückzieht und die Pfeile in einem Winkel genau in die Mitte zwischen Sonne und Horizont hochhaltet. Fertig? Schießhaltung einnehmen! Auf den Kaktus zielen. Und laßt abschwirren! Los!«
Dem Schwirren der Pfeile folgte ein allgemeines enttäuschtes Aufstöhnen der Jungen. Sämtliche Pfeile waren in schönem Bogen rund hundert Schritt entfernt und erstaunlich dicht beieinander niedergegangen, was jedoch nur daran gelegen hatte, daß Blut Schwelger Winkel und Bogenspannung angegeben hatte. Daß die Jungen aufstöhnten, lag daran, daß sie einer wie der andere das Ziel kläglich verfehlt hatten; die Pfeile waren weit links vom Kaktus niedergegangen. Erwartungsvoll richteten sich aller Blicke auf unseren Lehrmeister, daß er uns erkläre, warum wir so weit vorbeigeschossen hatten.
Er zeigte auf die quadratischen und rechteckigen Schlachtstandarten, die zuvor rings um uns her mit ihren Stangen in den Boden gepflanzt worden waren. »Wozu dienen diese Tuchfahnen?« fragte er.
Wir sahen einander an. Dann erwiderte Pactli, Sohn des Herrn Rot Reiher: »Das sind die Standarten, die uns von unseren Gruppenführern in der Schlacht vorangetragen werden. Sollten wir während der Schlacht auseinandergerissen werden, zeigen diese Standarten uns, wo wir uns wieder sammeln können.«
»Richtig, Pactzin«, sagte Blut Schwelger. »Aber die andere Fahne dort drüben, der lange Federnwimpel – wozu dient der?«
Abermals sahen wir uns fragend an, bis Chimáli sich ein Herz faßte und sagte: »Die tragen wir, um zu zeigen, wie stolz wir darauf sind, Mexíca zu sein.«
»Das ist eine mannhafte, aber falsche Antwort«, erklärte der Lehrmeister. »Deshalb wirst du nicht geprügelt werden. Aber schaut euch den Wimpel an, wie er vom Wind getragen wird, meine jungen Freunde.«
Alle sahen wir hin. An diesem Tag genügte der Wind nicht, den Wimpel waagerecht von seiner Stange abstehen zu lassen. In spitzem Winkel wies er auf den
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