Der Azteke
Harten Zeiten …« Damals war ich auch zum erstenmal dem verhutzelten, kakaobraunen Mann begegnet, welcher mir genau vorhergesagt hatte, wie mein Leben verlaufen werde.
Die Erinnerung daran war leicht beunruhigend, mußte ich doch darüber nachdenken, daß die Zukunft, welche er für mich vorausgesehen, schon meine Vergangenheit war. Dinge, die ich einst erwartet, waren bereits Erinnerungen. Ich näherte mich dem Ende meines ersten Schock Lebensjahre, und nicht viele Menschen wurden wesentlich älter als zweiundfünfzig Jahre. Gab es denn für mich wirklich keine Zukunft mehr? Als ich mir gesagt hatte, ich genösse zu Recht mein müßiges Leben, für das ich mich immerhin abgerackert hatte – hatte ich mich da nicht geweigert zuzugeben, daß ich mich selbst überlebt hatte und zu nichts mehr nütze war? Daß ich alle Menschen überlebt, welche ich jemals geliebt oder welche mich geliebt? Nahm ich einfach nur Raum in dieser Welt ein, bis ich in eine andere abberufen wurde?
Nein! Daran wollte ich einfach nicht glauben, und wie zur Bestätigung blickte ich hinauf in den Nachthimmel. Wieder hing ein rauchender Stern dort, genauso wie ein rauchender Stern über meiner Wiederbegegnung mit Motecuzóma in Teotihuácan gehangen hatte und dann über der Begegnung mit dem Mädchen Ce-Malinali und schließlich auch über meiner Begegnung mit den weißen Männern aus Spanien. Unsere Sternkundigen konnten sich nicht einigen: War es nun ein und derselbe Komet, welcher in unterschiedlicher Gestalt und verschieden hell an einer anderen Ecke des Himmels auftauchte, oder war es jedesmal ein neuer Komet? Doch nach jenem, welcher mich auf meiner letzten Reise in den Süden begleitet hatte, tauchte in beiden folgenden Jahren irgendein rauchender Stern am Nachthimmel wieder auf und blieb jedesmal die ganzen Nächte eines Monds über zu sehen. Selbst die für gewöhnlich unerschütterlichen Astronomen mußten zugeben, daß es sich um ein Zeichen mit einer bösen oder guten Vorbedeutung handelte, daß in drei Jahren drei Kometen sich jeder Erklärung entzogen hatten. Infolgedessen ging etwas vor in der Welt, und – ob es nun gut war oder schlecht – es sollte sich lohnen, darauf zu warten. Es ist möglich, daß ich dabei eine Rolle spielte oder vielleicht auch nicht, aber ich wollte fürs erste jedenfalls noch nicht von dieser Welt abtreten.
Verschiedene Dinge geschahen in diesen Jahren, und jedesmal fragte ich mich: Ist es das, was die rauchenden Sterne verkündet haben? In irgendeiner Weise waren alle diese Ereignisse bemerkenswert, manche davon auch beklagenswert, doch keines schien ganz bedeutsam genug, als daß es gerechtfertigt gewesen wäre, wenn die Götter uns eine solche dunkle Warnung hätten zukommen lassen.
So war ich erst ein paar Monde von meinem Zusammentreffen mit den Spaniern zurück, als uns aus Uluümil Kutz gemeldet wurde, daß die geheimnisvolle Krankheit der Blattern wie eine Flutwelle über die gesamte Halbinsel hinweggegangen sei. Unter den Xiu, den Tzotxil, den Quiche und all den anderen Nachfolgestämmen der Maya waren drei von zehn Bewohnern dieser Krankheit zum Opfer gefallen – unter anderen mein Gastgeber, der Herr Mutter Ah Tutál –, und fast jeder derer, die überlebt hatten, sollte für den Rest seines Lebens durch die Blatternnarben entstellt werden.
So unsicher sich Motecuzóma in Hinsicht auf das Wesen und die Absichten dieser Besucher aus Spanien war – mochten sie nun Götter sein oder Menschen –, er legte keinen Wert darauf, sich irgendeiner Götterkrankheit auszusetzen. Endlich einmal handelte er schnell und entschlossen und verbot streng jeden Handel mit den Mayalanden. Unseren Pochtéca wurde verboten, dorthin zu ziehen, und unsere südlichen Grenzwachen erhielten Anweisungen, alle Produkte und Waren zurückzuweisen, die von dort kamen. Dann wartete der Rest Der Einen Welt ängstlich noch ein paar Monde länger. Aber die Blattern waren erfolgreich gebannt worden, hatten nur innerhalb der unglücklichen Mayastämme gewütet und setzten anderen Völkern nicht zu – jedenfalls noch nicht.
Es vergingen noch ein paar Monde, und eines Tages schickte Motecuzóma einen Boten, mich in seinen Palast zu holen, und abermals überlegte ich: bedeutet dies, daß die Prophezeiung des rauchenden Sterns sich erfüllt hat? Doch als ich mich ihm auf die übliche vorgeschriebene Weise des Bittstellers im Sackgewand im Thronsaal näherte, sah der Verehrte Sprecher mich diesmal nur leicht verärgert an,
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