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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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ist nicht älter als ich.
    Der Uey-Tlatoáni Nezahualpíli wurde auf dem Boden seines Stadtpalastes bestattet und nicht auf dem ausgedehnteren Landsitz hinter dem Texcotzinco-Hügel. Infolgedessen standen die Menschen dichtgedrängt auf den Rasenflächen dieses kleineren Palastes, um diesem vielgeliebten und hochgeachteten Mann Lebewohl zu sagen. Da waren die Herrscher und Edelleute der Völker des Dreibunds sowie auch aus anderen Ländern, befreundeten und nichtbefreundeten. Die Abgesandten jener weiter entfernten Länder, welche nicht rechtzeitig zu Nezahualpílis Begräbnisfeierlichkeiten eintreffen konnten, waren gleichwohl in diesem Augenblick unterwegs nach Texcóco und beeilten sich, um rechtzeitig einzutreffen, seinen Sohn als den neuen Herrscher zu begrüßen. Von allen, die am Grabe Nezahualpílis hätten stehen sollen, war am auffälligsten das Fehlen Motecuzómas, der an seiner Statt seine Weibliche Schlange Tlácotzin und seinen Bruder Cuitláhuac schickte, den Oberbefehlshaber der Heere der Mexica.
    Prinz Weide und ich standen Seite an Seite am Grab und nicht weit entfernt von seinem Halbbruder Ixtlil-Xochitl, dem Thronerben der Acólhua. Dieser machte immer noch seinem Namen Schwarze Blume Ehre, denn er hatte immer noch die zusammengewachsenen Augenbrauen, welche dafür verantwortlich waren, daß er stets aussah, als runzele er die Stirn. Aber sonst hatte er das meiste Haar verloren, und ich dachte: Er muß jetzt zehn Jahre älter sein als sein Vater damals, als ich zuerst nach Texcóco kam, um hier die Schule zu besuchen. Nach der Beerdigung zog die Menge sich in die Festräume des Palastes zurück, um zu schmausen und zu singen, zu trauern und laut Taten und Verdienste des verstorbenen Nezahualpíli zu preisen. Doch Weide und ich besorgten uns ein paar Krüge besten Octlis, zogen uns in seine Privatgemächer zurück und betranken uns langsam, während wir die alten Tage an uns vorüberziehen ließen und über die Tage nachsannen, die da kommen sollten.
    Ich erinnere mich, an einer Stelle gesagt zu haben: »Ich habe viel über Motecuzómas unhöfliches Fehlen heute murren hören. Er hat es deinem Vater bis heute nicht verziehen, daß er sich in den letzten Jahren von allem ferngehalten hat, insbesondere, daß er sich geweigert hat, sich an den kleineren Kriegen zu beteiligen.«
    Der Prinz zuckte mit den Achseln. »Mit seinen schlechten Manieren wird Motecuzóma meinem Halbbruder keine Zugeständnisse abringen. Schwarz Blume ist der Sohn unseres Vaters und hängt denselben Vorstellungen an wie er – daß Die Eine Welt eines Tages, und zwar bald, von Fremden heimgesucht werden wird, und daß unsere einzige Sicherheit in unserer Einigkeit besteht. Er wird die Politik unseres Vaters fortführen, daß wir Acólhua unsere Kraft für einen Krieg aufsparen müssen, der nun wahrhaftig alles andere als ein kleiner Krieg sein wird.«
    »Vielleicht ist das der richtige Kurs«, sagte ich. »Aber Motecuzóma wird deinen Bruder nicht mehr lieben als deinen Vater.«
    Als nächstes erinnere ich mich daran, daß ich zum Fenster hinausschaute und ausrief: »Wie ist die Zeit nur vergangen? Es ist spät in der Nacht – und ich bin furchtbar betrunken.«
    »Nimm die Gästekammer dort drüben«, sagte der Prinz. »Wir müssen morgen früh hoch und hören, wie die Hofdichter ihre Lobgesänge vortragen.«
    »Wenn ich jetzt schlafe, habe ich morgen einen Brummschädel«, sagte ich. »Wenn du gestattest, möchte ich vorher einen Spaziergang in der Stadt machen und mir von Nacht Wind das Gehirn reinblasen lassen.«
    Die Art, wie ich ging, muß umwerfend gewesen sein, doch war kein Mensch da, mich zu sehen. Die nächtlichen Straßen waren menschenleerer als gewöhnlich, denn alle Bewohner Texcócos weilten in ihren Häusern und trauerten. Offenbar hatten die Priester Kupferfeilspäne auf die Fackeln an den Straßenecken gestreut, denn ihre Flammen brannten blau, und das Licht, welches sie verbreiteten, war fahl und bedrückend. In meinem etwas benebelten Zustand gewann ich den Eindruck, als wiederholte ich den Spaziergang, den ich schon einmal vor langer, langer Zeit gemacht. Verstärkt wurde dies noch, als ich vor mir unter einem rotblühenden Tapachini-Baum eine Steinbank erblickte, auf welcher ich dankbar Platz nahm und eine Zeitlang saß und es genoß, mich von den vom Wind heruntergewirbelten scharlachroten Blütenblättern berieseln zu lassen. Dann wurde ich gewahr, daß links und rechts von mir noch jemand saß.
    Ich

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