Der Azteke
anzugreifen.«
Cuitláhuac fügte noch hinzu: »Und das steht ganz im Einklang mit den Schlüssen, zu denen wir gekommen sind, nicht wahr, Mixtli?«
»Jawohl, meine Herren«, sagte ich und wandte mich an sie alle. »Der weiße Häuptling Cortés will ganz zweifellos etwas von uns Mexíca, und er wird nötigenfalls Gewalt anwenden, um es zu bekommen. Die Drohung liegt doch sogar in der Botschaft, welche diese Beamten überbracht haben, die er auf so listige Weise befreit hat. Sein Preis dafür, daß er die Totonáca in Schach hält, besteht darin, daß er hierher eingeladen wird. Wird ihm die Einladung vorenthalten, wird er die Totonáca – und womöglich noch andere – benutzen, sich den Weg hierher freizukämpfen.«
»Dem können wir ja leicht entgehen«, sagte Motecuzóma, »indem wir die Einladung übermitteln, um welche er bittet. Schließlich hat er gesagt, er wolle uns nur seine Aufwartung machen, und dagegen ist nichts einzuwenden. Kommt er ohne Truppen, nur in Begleitung seiner Unterbefehlshaber, kann er hier gewiß keinen Schaden anrichten. Ich glaube, daß er uns um Erlaubnis bitten will, mit seinen Leuten an der Küste eine Kolonie zu gründen. Wir wissen bereits, daß diese Fremden von Natur aus Inselbewohner und Seefahrer sind. Wenn es ihnen um nichts weiter geht als um eine Zuweisung von etwas Land an der Küste …«
»Ich möchte nicht gern widersprechen, Verehrter Sprecher«, ließ sich eine heisere Stimme vernehmen, »aber die weißen Männer wollen mehr als eine Stellung an der Küste.« Der gesprochen hatte, war einer von den zurückgekehrten Beamten. »Ehe wir von Tzempoálan freikamen, sahen wir den Widerschein großer Feuer am Himmel an der Küste, und ein Melder kam von der Bucht, wo die weißen Männer ihre elf Schiffe festgemacht hatten. Zuletzt erfuhren sogar wir, was geschehen war. Auf Befehl dieses Cortés hin holten alle seine Krieger die gesamte bewegliche Habe von zehn der Schiffe herunter; und diese zehn wurden in Brand gesteckt und sind zu Asche verbrannt. Nur eines ist noch übrig. Es soll offenbar als Kurierschiff zwischen hier und dem Ort dienen, wo die weißen Männer hergekommen sind.«
Verwirrt sagte Motecuzóma: »Das alles ergibt immer weniger Sinn. Warum sollten sie sich absichtlich ihres einzigen Transportmittels berauben? Willst du mir weismachen, all diese Fremden seien Wahnsinnige?«
»Ich weiß es nicht, Verehrter Sprecher«, erklärte der Heisere. »Ich weiß nur dieses. Hunderte von weißen Kriegern sitzen jetzt an der Küste fest, ohne die Mittel, wieder dorthin zurückzukehren, woher sie gekommen sind. Der weiße Häuptling Cortés kann jetzt nicht mehr friedlich bewogen oder gezwungen werden, wieder abzuziehen, weil er das aufgrund seines eigenen Handelns nicht mehr kann. Er steht mit dem Rücken zum Meer, und ich glaube nicht, daß er nur einfach dort bleiben wird. Seine einzige andere Möglichkeit besteht darin, ins Landesinnere vorzustoßen. Ich glaube, der Adlerritter Mixtli hat es richtig vorausgesagt: daß sie hierher marschieren werden. Nach Tenochtítlan.«
Offenbar nicht minder beunruhigt als der unglückliche Patzinca von Tzempoálan weigerte unser Verehrter Sprecher sich, sofort eine Entscheidung zu treffen oder auf der Stelle etwas zu unternehmen. Er befahl, daß alle den Thronsaal verließen und nur er allein zurückbleibe. »Ich muß gründlich über diese Dinge nachdenken«, sagte er, »und genau den Bericht studieren, den mein Bruder und Ritter Mixtli zusammengestellt haben. Ich werde mit den Göttern ¡n Verbindung treten. Sobald ich entschieden habe, was als nächstes zu tun ist, lasse ich euch meine Entscheidung wissen. Im Augenblick möchte ich allein gelassen werden.«
So zogen die fünf gerupften und zerzausten Beamten fort, sich wieder herzurichten und frisch zu machen, und der Staatsrat ging auseinander. Ich selber begab mich nach Hause. Wenn Wartender Mond und ich auch selten miteinander redeten, und wenn, dann nur über belanglose Haushaltsangelegenheiten, verspürte ich in diesem besonderen Fall das Bedürfnis, mit jemandem zu sprechen. Infolgedessen erzählte ich ihr alles, was sich an der Küste und bei Hofe zugetragen hatte und vertraute ihr die drückenden Ängste an, die all das hervorrief.
Leise sagte sie: »Motecuzóma fürchtet, es ist das Ende unserer Welt Du auch, Mixtli?«
Unentschlossen schüttelte ich den Kopf. »Ich bin kein Weitseher. Ganz im Gegenteil. Doch das Ende Der Einen Welt ist schon oft prophezeit
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