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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Götter, welche über den Himmel schritten, wobei freilich nur ihre Umhänge sichtbar wären, alle gefärbt in diesen kalten Farben.«
    Und genau so sahen die Lichter in dieser Nacht aus: Wie durchsichtige Schleier, welche von einem Punkt ganz hoch am Himmel herunterreichten bis hinunter zu den Bergen am Horizont, und als ob sie in einer leichten Brise hin- und herwallten. Nur war von einer Brise nichts zu spüren, und die langen Lichtschleier rauschten auch nicht, als sie hin- und herwogten. Sie schimmerten nur kalt, in Farben, welche von Weiß und Hellgrün bis zu Hellblau gingen. Und während diese Schleier sanft wogten, veränderten sich die Farben und verschmolzen bisweilen miteinander. Es war ein wunderschöner Anblick, gleichwohl jedoch einer, bei dem einem auch die Haare zu Berge standen.
    Viel später habe ich einmal das Schauspiel dieser Nacht einem von den spanischen Matrosen berichtet und ihm gesagt, wie wir Mexíca das als eine Warnung vor drohendem Unheil gedeutet hätten. Da lachte er und nannte mich einen abergläubischen Wilden. »Wir haben diese Lichter damals gleichfalls gesehen«, sagte er, »und es erstaunte uns ein wenig, ihnen soweit im Süden zu begegnen. Aber ich weiß, daß es nichts bedeutet, habe ich es doch in so mancher Nacht erlebt, wenn wir auf den kalten Meeren des Nordens dahinsegelten. Dort, in den Breiten, wo der eisige Nordwind über die Meere fegt, ist das ein recht häufiger Anblick. Daher auch die Bezeichnung, welche wir dafür haben: Nordlichter.«
    Damals jedoch wußte ich nur, daß sich diese blassen, bezaubernden und furchterregenden Lichter in Der Einen Welt zum erstenmal seit Sechsundsechzig Jahren zeigten, und ich sagte zu Motecuzóma: »Nach meinem Vater waren es die Zeichen, welche damals die Wiederkehr der Harten Zeiten ankündigten.«
    »Ah, ja.« Mit umdüsterter Stirn nickte er. »Die Geschichte von diesen Hungerjahren habe ich gelesen. Aber ich glaube, alle Harten Zeiten der Vergangenheit werden nichts sein im Vergleich zu dem, was uns jetzt bevorsteht.« Schweigend saß er eine Zeitlang da, und ich dachte, sitze nur da und blase Trübsal, doch plötzlich sagte er: »Ritter Mixtli, ich möchte, daß du noch eine Reise unternimmst.«
    Ich erhob so höflich, wie es ging, Einspruch. »Hoher Gebieter, ich bin ein alter Mann.«
    »Ich werde dir wieder Träger und Eskorte zur Verfügung stellen, und außerdem ist es keine besonders beschwerliche Reise von hier bis zur Totonáca-Küste.«
    Woraufhin ich etwas energischer Einspruch erhob. »Die erste förmliche Begegnung zwischen den Mexíca und den weißen Spaniern, Hoher Gebieter, sollte niemand geringerem anvertraut werden als den Weisen Männern Eures Staatsrates.«
    »Die meisten von ihnen sind womöglich noch älter als du und noch schlechter für eine solche Reise gerüstet. Keiner von ihnen ist imstande, Wortbild-Berichte zu verfassen oder die Sprache der Fremden zu sprechen. Doch am allerwichtigsten, Mixtli, ist, daß du imstande bist, Menschen zu zeichnen, wie sie wirklich aussehen. Das ist etwas, was wir noch nicht gehabt haben, jedenfalls nicht, seitdem die Fremden zuerst im Mayaland gelandet sind – ein gutes Bild von ihnen.«
    Ich erklärte: »Wenn das alles ist, was der Hohe Gebieter begehrt, kann ich noch aus der Erinnerung die Gesichter der beiden malen, welche ich in Tihó aufgesucht habe, und es wird ein ganz gutes Porträt werden.«
    »Nein«, sagte Motecuzóma. »Du hast selbst gesagt, sie seien nichts weiter gewesen als gemeinfreie Handwerker. Ich will das Gesicht ihres Anführers sehen, des Mannes Cortés.«
    Woraufhin ich mir ein Herz faßte und fragte: »Dann ist der Hohe Gebieter zu dem Schluß gekommen, daß er ein Mensch ist?«
    Er lächelte kläglich. »Du hast die Vorstellung, er könnte ein Gott sein, immer weit von dir gewiesen. Aber es sind so viele Zeichen am Himmel gesetzt worden, und so viele Dinge sind zusammengetroffen. Selbst wenn er nicht Quetzalcóatl ist und seine Krieger keine Toltéca, die wiederkehren – es könnte dennoch sein, daß die Götter sie geschickt haben. Vielleicht als Vergeltung für irgend etwas.« Ich betrachtete sein Gesicht, das im grünlichen Schimmer des Himmels recht leichenhaft aussah. Ich überlegte, ob er wohl – als er von Vergeltung sprach – daran gedacht hatte, daß er dem Kronprinzen Schwarz Blume den Thron entrissen hatte, oder ob er an andere, persönlichere, noch geheimere Vergehen dachte.
    Doch plötzlich raffte er sich auf und sagte schon

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