Der Azteke
ich glaube nachgerade, wir haben die Gefahr, welche uns von diesen Besuchern droht, weit übertrieben.«
Motecuzóma gab sich plötzlich wesentlich fröhlicher, als ich ihn seit langer Zeit erlebt hatte, doch ließ dieser rasche Umschwung von tiefer Niedergeschlagenheit in heitere Zuversicht mich nicht in den Fehler verfallen, es ihm nachzutun. Bis jetzt war er von den weißen Männern in Angst und Schrecken versetzt worden, hatte in ihnen Götter oder Götterboten gesehen, welche unsere Achtung und Sühne, ja möglicherweise sogar unsere Unterwerfung gefordert hatten. Nachdem er jedoch meinen Bericht sowie die Meinung der Ärzte gehört hatte, war er genauso rasch bei der Hand, die weißen Männer als etwas abzutun, was unserer Aufmerksamkeit und unserer Sorge unwürdig sei. Eine Haltung erschien mir genauso gefährlich wie die andere, doch konnte ich das selbstverständlich nicht sagen. Infolgedessen erklärte ich:
»Mag sein, vielleicht ist Cortés so krank, daß es schon an Wahnsinn grenzt, Hoher Gebieter. Aber ein Wahnsinniger kann gefährlicher sein als ein Normaler. Es ist nur wenige Monde her, daß dieses selbe Gezücht in den Landen der Olméca mühelos fünftausend Krieger besiegt hat.«
»Aber die Olméca Verteidiger geboten nicht über die Vorteile, über die wir verfügen.« Es war nicht Motecuzóma, der sprach, sondern sein Bruder, der Oberbefehlshaber Cuitláhuac. »Sie sind auf die althergebrachte Weise des Nahkampfs gegen die weißen Männer vorgegangen. Doch dank deiner, Mixtzin, wissen wir jetzt einiges über die Fähigkeiten des Feindes. Ich werde die Hälfte meiner Truppen mit Pfeil und Bogen ausrüsten. Wir können uns außerhalb der Reichweite ihrer Metallwaffen halten, und dem Abfeuern ihrer unhandlichen Feuerwaffen können wir ausweichen und können sie mit einem Pfeilregen schneller eindecken, als sie Geschosse zurückschicken können.«
Nachsichtig sagte Motecuzóma: »Es steht zu erwarten, daß ein Oberbefehlshaber der Krieger von Krieg spricht. Aber ich sehe überhaupt keinen Grund, warum wir kämpfen sollten. Wir geben dem Herrn Patzinca einfach den Befehl, die Totonáca sollen völlig aufhören, den weißen Männern auf irgendeine Weise zu helfen, und ihnen keine Nahrung, keine Frauen und überhaupt nichts mehr zur Verfügung stellen. Die Eindringlinge müßten es bald leid sein, sich nur von den Fischen zu ernähren, die sie fangen können, und nur noch die Kokosnußmilch zu trinken und die Hochsommerhitze in den Heißen Landen zu ertragen.«
Der dagegen Einspruch erhob, war seine Weibliche Schlange, Tláco-tzin. »Patzinca scheint den weißen Männern überhaupt nichts abschlagen zu wollen, Verehrter Sprecher. Die Totonáca sind uns nie gern tributpflichtige Untertanen gewesen. Es könnte sein, daß sie sich lieber einem anderen Oberherrn unterstellen.«
Einer von den Edelleuten, welche als Sendboten mit mir an die Küste gezogen waren, sagte: »Außerdem sprechen die weißen Männer von anderen weißen Männern, unzählig vielen mehr, die dort leben, wo immer sie hergekommen sind. Wenn wir diese hier bekämpfen und besiegen oder aushungern, so daß sie die Waffen strecken – woher wollen wir wissen, wann die nächsten eintreffen? Oder wie viele es sein werden, oder welche womöglich noch mächtigeren Waffen sie mitbringen?«
Motecuzómas neugewonnene Fröhlichkeit hatte sich bereits wieder verflüchtigt. Unruhig schossen seine Augen hin und her, als suchten sie unbewußt einen Ausweg – ob vor den weißen Männern oder vor der Notwendigkeit, eine Entscheidung zu fällen, vermag ich nicht zu sagen. Doch zuletzt blieb sein Blick auf mir ruhen, und er sagte: »Mixtzin, du trittst von einem Fuß auf den anderen, und das verrät deine Ungeduld. Was möchtest du sagen?«
Ohne zu zögern erklärte ich: »Steckt das einzige den weißen Männern noch verbliebene Schiff in Brand.«
Einigen der Männer im Thronsaal entfuhr ein: »Was?« oder »Schande!« Andere sagten: »Gäste angreifen, ohne herausgefordert zu sein?« oder: »Einen offenen Krieg, ohne vorher die Zeichen der Kriegserklärung zu übersenden?« Motecuzóma beendete das Gemurmel mit einer scharfen Handbewegung und sagte zu mir: »Warum?«
»Ehe wir die Küste verließen, Hoher Gebieter, wurde das Schiff mit dem zusammengeschmolzenen Gold und den anderen Geschenken beladen, die Ihr geschickt habt. Es wird bald auf seinen Flügeln nach Cuba oder gar nach Spanien davoneilen oder dem König Carlos persönlich Bericht
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