Der Azteke
die leichte Hand bedenkt, mit welcher Cortés diese seine zehn Schiffe verbrannt hat, muß man doch annehmen, daß der König Carlos viele solcher Schiffe in Reserve hat. Es ist ja möglich, daß Cortés nichts weiter ist als die Speerspitze einer riesigen Streitmacht, die bereits im Anrücken ist. Vielleicht ist doch am klügsten, so vorzugehen: Auf der Hut zu sein und friedlich mit Cortés umzugehen, zumindest solange, bis wir genau wissen, wie mächtig der Speer hinter ihm ist.« Motecuzóma erhob sich, ein Zeichen dafür, daß wir entlassen waren. Als er hinausging, sagte er noch: »Ich werde gründlich über alles nachdenken, was vorgebracht worden ist. Inzwischen werde ich Quimíchime ins Totonáca-Land und in alle Lande zwischen Tenochtilan und der Küste ausschicken, auf daß sie uns berichten, was die weißen Männer tun.«
Quimíchime bedeutet Mäuse, doch wird das Wort auch im Sinne von Spionen gebraucht. Zu Motecuzómas Sklavenheer gehörten Männer aus allen Völkern in Der Einen Welt, und die vertrauenswürdigeren unter ihnen benutzte er häufig, in ihrer Heimat für ihn zu spionieren, waren sie doch in der Lage, sich völlig unerkannt unter ihre Landsleute zu mischen und sich unter ihnen zu bewegen. Selbstverständlich hatte ich selbst vor kurzem im Totonáca-Land Spion gespielt und auch bei anderen Gelegenheiten in dieser Eigenschaft gearbeitet – selbst dort, wo ich nicht als Einheimischer durchgehen konnte –, doch ich war nur ein Mann und ganz auf mich allein gestellt gewesen. Ganze Scharen von Mäusen, wie Motecuzóma sie jetzt ausschwärmen ließ, konnten wesentlich mehr erfahren und weit mehr an Informationen heimbringen.
Als die ersten Quimíchime zurückkehrten, rief Motecuzóma den Staatsrat und mich wieder zu sich. Die Mäuse berichteten, das einzig verbliebene schwimmende Haus der weißen Männer habe in der Tat die großen Flügel aufgespannt und sei im Osten hinter dem Horizont verschwunden. Wiewohl mich diese Nachricht in Schrecken versetzte, hörte ich mir auch den Rest dessen an, was sie zu berichten hatten, denn die Mäuse hatten gute Arbeit geleistet, die Augen offen gehalten und die Ohren gespitzt und sogar mehrere gedolmetschte Unterhaltungen belauscht.
Das Botenschiff war mit soviel Männern, wie nötig waren, abgefahren; hinzu war noch ein Mann von Cortés' Soldaten gekommen, welcher offenbar den Auftrag hatte, das Gold und die anderen Geschenke abzuliefern und König Carlos in Cortés' Namen Bericht zu erstatten. Dieser Mann war der Offizier Alonso, dem Ce-Malinali gehört hatte, doch selbstverständlich hatte er diese wertvolle junge Frau nicht mitgenommen. Die allem Anschein nach nicht sonderlich betrübte Malintzin – wie sie von allen immer mehr genannt wurde – war nun nicht mehr nur Cortés' Dolmetscherin, sondern auch seine Konkubine geworden.
Mit ihrer Hilfe hatte Cortés eine Ansprache an die Totonáca gehalten. Er hatte ihnen gesagt, das Botenschiff werde zurückkehren und die Bestätigung seiner Beförderung mitbringen. Diese Beförderung werde er jetzt vorausnehmen und fürderhin nicht mehr nur den Titel Capitán, sondern den eines Capitán-General führen. Im Vorgriff auf die Befehle seines Königs gebe er Cem-Anáhuac, Der Einen Welt, einen neuen Namen. Das Küstengebiet, von welchem er bereits Besitz genommen habe, so sagte er, sowie alle Lande, welche er in der Zukunft entdecken werde, würden fürderhin die Capitana-General Neuspanien bilden. Selbstverständlich bedeuteten uns diese spanischen Wörter damals nicht viel, zumal der Quimichi sie uns auch noch in seiner Totonácatl-Aussprache wiedergab. Gleichwohl war deutlich, daß Cortés – entweder bedauernswert von Sinnen oder unglaublich kühn oder, wie ich vermutete, aufgrund der Einflüsterungen seiner ehrgeizigen Konkubine – grenzenloses Land und unzählige Völker zu seinem Eigentum erklärte, welche er noch nicht einmal gesehen, geschweige denn durch Kampf oder durch andere Mittel erobert hatte. Zu dem Land, auf welches er Besitzrechte anmeldete, gehörte auch unseres, und zu den Völkern, über welche er Oberherrschaft beanspruchte, gehörten auch wir, die Mexíca.
Cuitláhuac schäumte fast vor Empörung, als er sagte: »Wenn das keine Kriegserklärung ist, Verehrter Bruder, dann möchte ich einmal wissen, was eine Kriegserklärung ist.«
Unsicher sagte Motecuzóma: »Bis jetzt hat er noch keine Kriegsgeschenke oder andere Zeichen geschickt, welche diese Absicht erkennen lassen.«
»Wollt
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