Der Azteke
seine hervorragend ausgebildeten, nach Tausenden Acólhua zählenden verstärkt worden sei. Ganz offensichtlich hatte sich das impulsive und möglicherweise überflüssige Massaker von Cholólan für Cortés als Meisterstück erwiesen, und er war seiner Malintzin dafür zu Dank verpflichtet, gleichgültig, aus welchem Grunde sie es in Gang gesetzt hatte. Sie hatte bewiesen, daß sie seiner Sache mit Hand und Herz ergeben war, daß sie bereit war, ihm zu helfen, sein Ziel zu erreichen, selbst wenn sie dafür über die Leichen von Männern, Frauen und Kindern ihrer eigenen Rasse hinweggehen mußte. Wenn er sich ihrer auch fortan noch als Dolmetsch bediente, schätzte Cortés sie von Stund an als seine beste Ratgeberin, seine vertrauenswürdigste Unterbefehlshaberin und seine standhafteste Bundesgenossin noch höher ein. Vielleicht hat er die Frau sogar lieben gelernt, wer will das wissen. Malintzin hatte zwei ihrer ehrgeizigen Ziele erreicht: Sie hatte sich bei ihrem Herrn unentbehrlich gemacht, und sie war mit dem Titel einer Edelfrau und allem, was dazugehört, auf dem Weg nach Tenochtítlan, ihrem langersehnten Traumziel.
Nun könnte es durchaus sein, daß es zu allen diesen Ereignissen, von denen ich berichtet habe, auch dann gekommen wäre, wenn das Waisenkind Ce-Malinali nie von ihrer liederlichen Coatlicamac-Sklavenmutter geboren worden wäre. Ich habe einen ganz persönlichen Grund, warum ich ihre kriecherische Anhänglichkeit an ihren Herrn und Meister und ihren Verrat an ihrer eigenen Rasse so verunglimpfe. Es könnte sein, daß ich einen ganz besonderen Haß auf sie hatte einfach deshalb, weil ich nicht vergessen konnte, daß sie denselben Geburtsnamen trug wie meine Tochter, daß sie genauso alt war, wie Nochipa jetzt gewesen wäre, so daß ihre schändlichen Taten für mich ganz persönlich Schande über meine makellose und schutzlose Ce-Malinali brachten.
Doch von meinen persönlichen Gefühlen ganz abgesehen – ich war Malintzin in der Tat zweimal begegnet, ehe sie zu Cortés' wirksamster Waffe geworden war, und beide Male hätte ich verhindern können, daß sie dazu wurde. Als ich sie das erste Mal beim Sklavenmarkt sah, hätte ich sie kaufen können, und sie wäre es zufrieden gewesen, ihr Leben als Dienerin im Haus eines Adlerritters der Mexíca in der großen Stadt Tenochtítlan zu verbringen. Und als wir uns im Totonáca-Land wiedersahen, war sie immer noch eine Sklavin und das Eigentum eines unbedeutenden Offiziers, nichts weiter als ein Glied in der Kette der Übersetzung von Unterredungen und Gesprächen. Damals hätte ihr Verschwinden kaum jemand aufgeregt, und mir wäre es ein leichtes gewesen, dafür zu sorgen, daß sie verschwand. Infolgedessen hätte ich zweimal ihrem Leben eine andere Richtung geben können, ja, vielleicht hätte ich dadurch sogar dem Gang der Geschichte eine andere Richtung gegeben. Doch ich hatte es nicht getan. Als sich herausstellte, daß das Massaker von Chololan auf sie zurückging, erkannte ich, was für eine große Bedrohung sie darstellte und wußte, daß ich ihr irgendwann wieder begegnen würde – in Tenochtítlan, wohin es sie ihr Leben lang gezogen hatte –, und ich schwor mir, dafür zu sorgen, daß ihr Leben dort endete.
Kurz nachdem er die Nachricht von dem Massaker von Cholólan erhalten hatte, bewies Motecuzóma abermals, wie unentschlossen es aussehen konnte, wenn er entschlossen handelte – denn er schickte eine weitere Abordnung von Edelleuten aus, an deren Spitze diesmal seine Weibliche Schlange stand, Tlacotzin, Oberschatzmeister der Mexíca, der zweite Mann im Staate nach Motecuzóma selbst. Tlacotzin und seine adligen Gefährten führten abermals eine reich mit Gold und anderen Geschenken beladene Trägerkolonne an – Dinge, welche nicht dem Wiederaufbau und der Wiederbevölkerung der unglücklichen Stadt dienen sollten, sondern dazu, Cortés um den Bart zu gehen.
Mit diesem Schritt, so glaube ich, offenbarte Motecuzóma die ganze Verstellung, deren er fähig war. Die Bewohner von Cholólan waren entweder vollkommen unschuldig gewesen und hatten ihre Vernichtung überhaupt nicht verdient; oder aber, wenn sie doch einen Aufstand gegen Cortés geplant hatten, konnten sie das nur auf Grund von geheimen Befehlen von Motecuzóma getan haben. In der Botschaft, welche der Verehrte Sprecher Cortés durch Tlacotzin überbringen ließ, beschuldigte er seine Cholólaner Verbündeten, diese fragwürdige »Verschwörung« ganz allein angezettelt zu
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