Der Azteke
andere als begeistert, unser Haus verlassen zu sollen. Gleichwohl war sie sich der geheimen Zusammenkünfte bewußt, an denen ich teilgenommen hatte; so wußte sie, daß irgend etwas im Gange war und fügte sich widerspruchslos. Sie sollte eine Freundin besuchen, welche in Tepeyáca auf dem Festland lebte. Als Zugeständnis an ihre geschwächte Gesundheit ließ ich sie sich daheim ausruhen, bis kurz vor dem Zeitpunkt, da die Brücken auf den Dammstraßen entfernt werden sollten. Am Nachmittag dieses Tages schickte ich sie in einer kleinen Sänfte fort; die beiden Türkise gingen neben ihr her.
Ich blieb allein im Haus zurück. Es war weit genug entfernt vom Herzen Der Einen Welt, daß ich weder von der Musik noch von den anderen Geräuschen der vorgetäuschten Belustigungen etwas hörte, konnte mir jedoch, als die Dämmerung einsetzte, lebhaft vorstellen, wie der Plan ablief: Die Dammstraßen würden unterbrochen und die tanzenden Frauen nach und nach von den bewaffneten Männern abgelöst werden. Was ich vor mir zu sehen glaubte, fand ich nicht sonderlich erhebend, denn mein eigener Beitrag zum Gelingen des ganzen sollte darin bestehen, daß ich – zum erstenmal in meinem Leben – heimtückisch tötete. Ich holte mir einen Krug Octli sowie einen Becher aus der Küche und hoffte, das starke Getränk werde meine Gewissensbisse ein wenig beschwichtigen. Dann saß ich, als es immer dunkler wurde, unten in der Vorderkammer, entzündete keine Lampen, versuchte, mich zu betrinken, und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
Ich vernahm das Getrappel vieler Füße auf der Straße vor dem Haus, dann wurde heftig gegen meine Haustür gepocht. Als ich öffnete, standen vier Palastwachen da und hielten die vier Ecken einer Tragbahre aus Rohrgeflecht, auf welcher unter einem feinen weißen Baumwolltuch ein schlanker Körper lag.
»Verzeiht die Störung, Mixtzin«, sagte einer der Wachen, und es hörte sich an, als ob ihr gar nicht nach Verzeihen zumute wäre. »Wir sind angewiesen worden, Euch zu bitten, einen Blick auf das Gesicht dieser toten Frau zu werfen.«
»Das ist nicht nötig«, sagte ich, überrascht darüber, daß Alvarado oder Motecuzóma so rasch darauf gekommen waren zu erraten, wer der Mörder sei. »Ich kann die Hündin von einer Kojotin auch identifizieren, ohne sie gesehen zu haben.«
»Ihr sollt Euch das Gesicht trotzdem ansehen«, sagte die Wache streng.
Ich hob ihr das Tuch im selben Augenblick vom Gesicht, als ich meinen Topas vors Auge hielt, und muß wohl ein recht betroffenes Gesicht gemacht und dann einen kleinen Schrei ausgestoßen haben, denn es war ein junges Mädchen, das ich nie zuvor gesehen hatte.
»Sie heißt Lorbeer«, sagte Malintzin, »oder vielmehr hat sie so geheißen.« Ich hatte nicht bemerkt, daß ein Tragstuhl zu Füßen der Treppe niedergesetzt worden war. Malintzin stieg aus, und die Wachen mit der Tragbahre rückten ein wenig beiseite, um ihr Platz zu machen, als sie zu mir heraufstieg. Sie sagte: »Wir reden drinnen miteinander«, und zu den vier Wachen: »Wartet unten, bis ich wieder herauskomme oder bis ich rufe. Tue ich das, laßt alles stehen und liegen und kommt sofort.«
Ich machte die Tür für sie weit auf und schlug sie den Wachen vor der Nase zu. In der Dunkelheit der Diele tappte ich herum und suchte nach einer Lampe, doch sie sagte: »Laßt das Haus im Dunkel. Schließlich bereitet es uns beiden kein sonderliches Vergnügen, einander zu sehen oder?« So führte ich sie in die Vorderkammer, und wir nahmen auf einander gegenüberstehenden Stühlen Platz. Sie war im Dunkel eine kleine, zusammengekauerte Gestalt, doch die Bedrohung, welche von ihr ausging, war übermächtig. Ich schenkte mir noch einen reichlichen Becher Octli ein und trank. Hatte ich zuvor nur Benommenheit gesucht, so schien bei den jetzt eingetretenen Umständen völlige Erstarrung oder Volltrunkenheit vorzuziehen zu sein.
»Lorbeer war eine von den Texcaltéca-Mädchen, welche mir als Dienerinnen geschenkt worden waren«, sagte Malintzin. »Heute war sie an der Reihe, die Speisen vorzukosten, die ich essen sollte. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, die ich seit geraumer Zeit getroffen habe, von welcher die anderen Bediensteten und Bewohner des Palastes allerdings nichts wissen. Daher braucht Ihr Euch keine allzu großen Vorwürfe für das Mißlingen Eures Plans zu machen, Mixtzin. Allerdings könntet Ihr gelegentlich einen Augenblick opfern, Reue für die unschuldige junge Lorbeer zu
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