Der Azteke
mit unserem VEREHRTEN SPRECHER!«
»Aber Verehrter Sprecher nur noch dem Namen nach!« knurrte der Hohepriester Huitzilopóchtlis. »Ich sage euch, unser Kriegsgott will nichts mehr mit ihm zu tun haben.«
»Es ist an der Zeit, daß wir alle uns dazu durchringen«, sagte der Herr Cuautémoc, Sohn des verstorbenen Ahuítzotl. »Und wenn wir diesmal säumen – wer weiß, ob wir je wieder Gelegenheit dazu haben werden. Der Mann Alvarado strahlt wie Tonatíu, vielleicht, aber als Ersatz für Cortés ist er keine so große Leuchte. Wir müssen zuschlagen, ehe der stärkere Cortés zurückkommt.«
»Dann seid Ihr also sicher, daß Cortés wieder zurückkommt?« fragte ich, weil ich seit dem Abmarsch des Capitán-General vor zehn Tagen noch an keiner der Ratsversammlungen, weder einer offenen noch einer geheimen, teilgenommen hatte und ich über die letzte Entwicklung nicht auf dem laufenden war. Cuautémoc setzte mich ins Bild:
»Was wir von unseren Quimíchime an der Küste hören, ist alles höchst verwirrend. Cortés hat seine weißen Brüder nicht gerade als Brüder willkommen geheißen. Er hat sie nächtens überfallen, worauf sie nicht vorbereitet waren. Wiewohl sie mit ihren Streitkräften den seinen dreifach überlegen waren, hat er über sie gesiegt. Sonderbarerweise hat es auf beiden Seiten so gut wie keine Toten gegeben, denn Cortés hatte befohlen, so wenig wie möglich von ihnen zu töten, als ob sie einen Blumenkrieg führten. Und seither haben er und der Anführer der neuen Expedition nur verhandelt und sich gestritten. Wir können uns überhaupt keinen Reim darauf machen, was eigentlich vorgeht. Gleichwohl müssen wir davon ausgehen, daß Cortés darauf hinarbeitet, diese neue Streitmacht unter seinen Oberbefehl zu bringen, und daß er an der Spitze all dieser zusätzlichen Männer und Waffen hierher zurückkehren wird.«
Ihr werdet verstehen, ehrwürdige Patres, daß wir bei der Wendung, welche die Dinge in jenen Tagen nahmen, überhaupt nicht mehr wußten, wo uns der Kopf stand. Wir waren davon ausgegangen, daß die Neuankömmlinge von König Carlos kämen, und zwar auf ausdrückliches Begehren von Cortés hin. Infolgedessen war es unbegreiflich, wieso er – ohne herausgefordert oder gereizt zu sein – über sie hergefallen war. Erst viel später erfuhr ich das eine und das andere, reimte mir so manches zusammen und begriff erst da in vollem Ausmaß, wie sehr Cortés uns alle getäuscht hatte – sowohl mein als auch euer Volk.
Vom Augenblick seines Eintreffens in unseren Landen an hatte Cortés sich stets als Abgesandten eures Königs Carlos ausgegeben; heute weiß ich, daß er das mitnichten war. Euer König Carlos hat Cortés niemals ausdrücklich hierhergeschickt – jedenfalls nicht, um der höheren Ehre Seiner Majestät willen, nicht, um Spanien zu vergrößern, nicht, um den christlichen Glauben hier zu verkünden und auch aus keinem anderen Grunde. Als Hernán Cortés zum erstenmal den Fuß auf Die Eine Welt setzte, hatte euer König Carlos von einem Hernán Cortés noch nicht einmal gehört!
Bis auf den heutigen Tag spricht sogar Seine Exzellenz, der Bischof, voller Verachtung von »diesem Heuchler Cortés« und von seiner niedrigen Herkunft, von dem Emporkömmling und seinem maßlosen Ehrgeiz. Den Bemerkungen von Bischof Zumárraga und anderer entnehme ich, daß Cortés ursprünglich weder von seinem König noch von seiner Kirche hierhergeschickt wurde, sondern von einer weit geringeren Autorität, dem Gouverneur der Inselkolonie Cuba. Cortés wurde mit keinem weitergehenden Auftrag hierhergeschickt als dem, diese Küsten zu erkunden, Karten von ihnen anzufertigen und unterwegs mit Glasperlen und anderem Tand vielleicht etwas einträglichen Handel zu treiben.
Doch selbst ich begreife, wie Cortés dazu kam, weit größere Möglichkeiten zu wittern, nachdem er die Olmeca-Streitkräfte des Tabascoöb so mühelos besiegte und insbesondere, nachdem das schwächliche Volk der Totonáca sich ihm kampflos unterwarf. Das muß der Augenblick gewesen sein, da Cortés beschloß, der Conquistador en Jefe zu werden, der Eroberer Der gesamten Einen Welt. Ich habe sogar gehört, daß einige seiner Unterbefehlshaber, welche den Zorn ihres Gouverneurs fürchteten, sich seinen hochfliegenden Plänen widersetzten und er aus diesem Grunde seinen weniger kleinmütigen Gefolgsleuten befahl, ihre zehn Schiffe in Brand zu stecken. An diesen Gestaden gestrandet, blieb selbst denjenigen, welche dagegen waren,
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