Der Azteke
Laune der Götter. Und es gab auch noch andere Dinge, welche zum Fall Der Einen Welt beitrugen – nicht zuletzt die beklagenswerte Tatsache, daß diese Eine Welt sich gegen sich selbst kehrte: ein Volk gegen das andere Volk, ein Nachbar gegen den anderen, und zuletzt sogar Bruder gegen Bruder. Doch wenn ein einzelner Mensch allein den Titel Conquistador verdient, so dieser namenslose schwarze Mohr, welcher die Blatternkrankheit nach Tenochtítlan brachte.
Er hätte auf der Überfahrt von Cuba Narváez' Soldaten anstecken können. Er tat es nicht. Er hätte Narváez' und Cortés' Truppen auf ihrem Marsch von der Küste hierher anstecken können. Er tat es nicht. Er hätte selbst längst an der Krankheit sterben können, ehe er hierherkam. Er tat es nicht. Er blieb am Leben, kam nach Tenochtítlan und brachte uns die Krankheit. Vielleicht entsprang es einer Laune der Götter, ihn das tun zu lassen, jedenfalls gab es nichts, was wir dagegen hätten unternehmen können. Ich wünschte, er wäre unter denjenigen seiner Kameraden gewesen, die entkamen, damit er seine Krankheit früher oder später mit ihnen hätte teilen können. Aber nein. Tenochtítlan wurde von den Blattern verwüstet, und die Krankheit breitete sich im gesamten Seengebiet aus, drang bis in jedes Gemeinwesen des Dreibunds vor, erreichte aber niemals Texcála und machte unseren dortigen Feinden nicht zu schaffen.
Die ersten Einwohner von Tenochtítlan erkrankten bereits, als wir noch nicht einmal wußten, daß Cortés und seine Streitmacht in Texcála Zuflucht gefunden hatten. Die ehrwürdigen Patres kennen die Symptome der Krankheit gewiß und wissen, wie das weitergeht. Gleichviel, ich habe euch einmal beschrieben, wie ich vor vielen Jahren im fernen Tihó ein Xiu-Mädchen an den Blattern sterben sah. Deshalb brauche ich euch nicht zu sagen, daß unser Volk auf die gleiche Weise zugrunde ging: sie erstickten an den geschwollenen Geweben in ihrer Nase und im Hals – oder auf eine ähnlich grauenhafte Weise: im heftigen Delirium um sich schlagend und schreiend, bis ihr Gehirn die Qual nicht mehr ertrug, oder indem sie Blut spuckten, bis kein Blut mehr in ihrem Körper war, bis sie im Tode mehr einer leeren Hülse glichen als einem Menschen. Selbstverständlich erkannte ich die Krankheit frühzeitig und sagte zu unseren Heilkundigen:
»Das ist ein verbreitetes Gebrechen unter den Weißen, doch sie achten nicht sonderlich darauf, denn sterben tun sie nur selten daran. Sie nennen das die Blattern.«
»Was machen die weißen Männer, um nicht daran zu sterben?« fragten die Ärzte mich.
»Es gibt kein Heilmittel. Zumindest haben sie mir das gesagt. Außer beten.«
Infolgedessen waren unsere Tempel fortan voll von Priestern und Gläubigen, welche Patécatl, dem Gott des Heilens, Opfer darbrachten und ihn verehrten. Der Tempel, den Motecuzóma den Spaniern überlassen hatte, war gleichfalls ständig überfüllt von jenen unserer Leute, welche sich hatten taufen lassen und die plötzlich inständig hofften, wirklich zu Christen geworden zu sein – womit ich meine, daß sie hofften, der christliche Gott der Blattern werde sie als Weiße ansehen und sie daher verschonen. Sie zündeten Kerzen an und bekreuzten sich, murmelten Dinge, an welche sie sich aus den Gottesdiensten erinnerten, an einen Glauben, in welchem man sie kaum unterwiesen hatte und dem sie noch weniger Aufmerksamkeit geschenkt hatten.
Aber nichts hielt die Ausbreitung der Krankheit und das Sterben auf. Unsere Gebete waren so fruchtlos und unsere Ärzte so hilflos, wie es die der Maya gewesen waren. Es dauerte nicht lange, und uns drohte auch noch eine Hungersnot, da unsere Krankheit nicht geheimgehalten werden konnte und die Menschen vom Festland sich fürchteten, uns nahezukommen. Infolgedessen hörte der Verkehr mit den Acáltin auf, welche uns Lebensmittel brachten, ein Verkehr, der für die Versorgung unserer Insel so unumgänglich notwendig war. Freilich dauerte es nicht lange, da trat die Krankheit auch in den Gemeinwesen auf dem Festland auf, und nachdem klar wurde, daß der gesamte Dreibund gleichermaßen heimgesucht wurde, nahmen die Bootsleute ihren Verkehr wieder auf – oder vielleicht sollte ich sagen, jene Bootsleute, welche noch nicht angesteckt worden waren. Denn wählerisch schien die Krankheit nur in einer ganz besonders grausamen Hinsicht zu sein. Ich selber wurde nie angesteckt, Béu auch nicht, überhaupt keiner in unserem Alter. Die Blattern schienen Menschen unseres
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