Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
Doch ich bitte ergebenst zu bedenken, Verehrter Sprecher, daß ich wahrheitsgetreu berichte, was ich mit eigenen Augen gesehen habe, und ich bin nicht wahnsinnig. Oder vielmehr: war es nicht, bis ich fand, was sich dort tue, sei so unheilverkündend, daß ich mein Leben aufs Spiel setzte, hierherzukommen und Euch zu unterrichten.«
    Cuitláhuac lächelte. »Ob wahnsinnig oder nicht, es war die Tat eines tapferen und getreuen Mexícatl, und ich bin dankbar dafür. Du wirst reich belohnt werden – und dann noch reicheren Lohn erhalten: Meine Erlaubnis nämlich, diese verpestete Stadt zu verlassen, so schnell dich deine Füße tragen.«
    Auf diese Weise also erfuhren wir von Cortés' Tun und zumindest einiges über seine Absichten. Ich habe viele – die damals nicht hier waren – sich kritisch über unsere scheinbare Gleichgültigkeit und Stumpfheit äußern hören oder über unsere Dummheit oder darüber, daß wir uns trügerisch in Sicherheit wiegten, weil wir in der Isolation blieben und nichts unternahmen, um Cortés daran zu hindern, seine Streitkräfte um sich zu sammeln. Doch der Grund, warum wir nichts taten, ist der, daß wir nichts tun konnten. Von Tzumpánco im Norden bis nach Xochimilco im Süden, von Tlácopan im Westen bis Texcóco im Osten war jeder Mann und jede Frau, welche nicht half, die Erkrankten zu pflegen, entweder selbst krank, lag im Sterben oder war bereits tot. In unserer Schwäche blieb uns nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu hoffen, daß wir uns wenigstens einigermaßen wieder erholt haben würden, ehe Cortés zurückkehrte. Darüber gaben wir uns keinerlei Illusionen hin; wir wußten, daß er wiederkommen würde. Und es war in diesem traurigen Sommer des Abwartens, daß Cuitláhuac in meiner Gegenwart und der seines Vetters Cuautémoc folgende Bemerkung machte:
    »Ich sähe es lieber, daß der Schatz unseres Volkes für alle Ewigkeit auf dem Boden des Texcóco-Sees liegt – oder immer tiefer hinabsinkt in die schwarzen Tiefen der Mictlan –, als daß die weißen Männer ihn jemals wieder in die Hand bekommen.«
    Ich bezweifle, daß er später anderen Sinnes wurde, denn dazu blieb ihm kaum Zeit. Ehe die Regenzeit vorüber war, wurde auch er von den Blattern hinweggerafft, spuckte sein ganzes Blut aus und starb. Armer Cuitláhuac, er wurde unser Verehrter Sprecher ohne die geziemenden Krönungsfeierlichkeiten, und als er starb, wurde er auch nicht mit Begräbnisfeierlichkeiten geehrt, welche seinem Rang entsprochen hätten.
    Um die Zeit konnte nicht einmal der edelste aller Edelleute in einer Zeremonie mit Trommeln und prächtigem Trauergefolge bestattet werden – nicht einmal der Luxus einer Erdbestattung wurde ihm zuteil. Dafür waren einfach zu viele Tote da, starben jeden Tag zu viele. Es war kein Platz mehr vorhanden, wo sie hätten bestattet werden können, oder Männer, welche das Grab ausgehoben hätten, oder genug Zeit, all die Gräber zu graben, welche nötig gewesen wären. Statt dessen stellte jedes Gemeinwesen irgendein Stück nicht genutzten Landes zur Verfügung, auf welches die Toten geschafft, sang- und klanglos aufeinandergeworfen und zu Asche verbrannt wurden – und selbst diese Massenbestattung war in den feuchten Tagen der Regenzeit nicht ganz einfach. Der Verbrennungsplatz von Tenochtltlan lag auf einem unbewohnten Gelände auf dem Festland hinter dem Hügel von Chapultépec, und zwischen ihm und unserer Insel herrschte der regste Verkehr von Frachtkähnen. An den Rudern saßen alte Männer, denen die Krankheit nichts anhaben konnte, und so ruderten sie immer hin und her, den ganzen Tag lang, einen Tag wie den anderen.
    Cuitlahuacs Leiche war nur eine von den Hunderten, welche an dem Tag, da er starb, hinübergeschafft wurden.
    Die Blatternkrankheit war der Bezwinger von uns Mexíca und einigen anderen Völkern. Noch andere Völker wurden geschlagen oder werden noch heute von Krankheiten heimgesucht, welche zuvor in diesen Landen unbekannt waren; und wenn man an manche denkt, könnten wir Mexíca geradezu dankbar sein, daß wir nur von den Blattern befallen wurden.
    Da gibt es jene Krankheit, welche ihr die Beulenpest nennt und bei der dem Opfer am Hals, im Schritt und unter den Achseln schmerzende schwarze Beulen wachsen, so daß er ständig den Kopf nach hinten reckt und seine Gliedmaßen verrenkt, als ob er sie am liebsten von seinem Körper abreißen würde, um den Schmerz endlich loszuwerden. Dabei sind alle seine Ausscheidungen – sein Speichel,

Weitere Kostenlose Bücher