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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Nachmittag und in einer Nacht den Tod gefunden hatten. Selbstverständlich hatte Cuitláhuac bereits den leerstehenden Thron der Mexíca bestiegen – wiewohl er nie dazu kam, alle Pracht und Feierlichkeiten einer offiziellen Krönungszeremonie zu genießen. Und das Volk von Tlácopan wählte als Nachfolger für ihren gefallenen Uey-Tlatoáni seinen Bruder Tétlapanquétzal.
    Die Wahl des neuen Verehrten Sprechers von Texcóco war weniger leicht. Legitimer Anwärter auf den Thron war Prinz Schwarz Blume, welcher ohnehin hätte Herrscher werden sollen, und die meisten Acólhua hätten ihn gewiß gern auf dem Thron gesehen – nur, daß er sich mit den verhaßten weißen Männern verbündet hatte. Deshalb einigte sich der Staatsrat von Texcóco in Absprache mit den neuen Verehrten Sprechern von Tenochtítlan und Tlácopan darauf, einen so unbedeutenden Mann zu ernennen, daß er für alle Teile annehmbar war, gleichwohl jedoch jenem Führer Platz machen konnte, welcher sich später als der stärkste unter den zersplitterten Acólhua herausstellte. Sein Name war Cohuanácoch, und ich glaube, er war ein Neffe des verstorbenen Nezahualpíli. Es lag in der allgemeinen Unsicherheit und Zerrissenheit und an der schwächlichen Führung dieses Volkes, daß die Acólhua-Krieger die fliehenden Streitkräfte von Cortés nur so halbherzig angriffen, wohingegen sie sie vollständig hätten vernichten sollen. Nie wieder bewiesen die Acólhua das kriegerische Ungestüm, welches ich so sehr bewundert hatte, als Nezahualpíli sie vor so vielen Jahren gegen die Texcaltéca geführt hatte.
    Ein weiteres merkwürdiges Vorkommnis in der Traurigen Nacht war, daß irgendwann im Laufe dieser Nacht die Leiche Motecuzómas aus dem Thronsaal des Palastes verschwand, in welchem er zuletzt gelegen hatte, und nie wieder gesehen ward. Ich habe viele Vermutungen darüber gehört, was aus ihr geworden ist – sie sei bösartig zerhackt und in Stücke geschlagen worden, als unsere Krieger den Palast stürmten; seine Frauen und Kinder hätten die Leiche heimlich weggeschafft, um ihr ein würdiges Begräbnis zu verschaffen; seine ergebenen Priester hätten die Leiche mit Konservierungsmitteln präpariert und versteckt und würden sie eines Tages, wenn ihr weißen Männer fort sein werdet und die Mexíca wieder regieren, durch Zauberei wieder zum Leben erwecken. Ich persönlich nehme an, daß Motecuzómas Leiche unter diejenigen der Texcaltéca-Ritter geriet, welche in diesem Palast erschlagen wurden, und unerkannt dort verschwand, wo auch sie verschwanden: als Futter für die Tiere des Tierhauses. Nur eines ist sicher. Motecuzóma verließ diese Welt genauso unbestimmt und unentschlossen, wie er in ihr gelebt hatte, so daß die Stelle, wo seine leibliche Hülle ruht, genauso unbekannt ist wie der Verbleib des Schatzes, welcher in dieser Nacht gleichfalls verschwand.
    Ach ja, der Schatz: dasjenige, was heute der »verlorene Schatz der Azteken« genannt wird. Ich hatte mich schon gefragt, wann ihr mich danach fragen würdet. In späteren Jahren ließ Cortés mich des öfteren kommen, damit ich Malintzin half zu dolmetschen, während er viele Menschen ausfragte, jeden einzelnen viele Male und oft auf sehr nachdrücklich überzeugende Weise; und oft hat er auch mich gefragt, was ich wohl über den Verbleib des Schatzes wisse, wenn er mich auch keinen ausdrücklich überzeugenden Methoden der Befragung unterwarf. Außer Cortés haben noch viele andere Spanier mich und ehemalige Höflinge gebeten, ihnen zu sagen: Woraus bestand der Schatz eigentlich? Und wieviel war er wert? Und vor allen Dingen: Wo ist er jetzt? Ihr würdet nicht glauben, welche Verlockungen man mir auf den heutigen Tag bietet, möchte aber immerhin soviel sagen, daß diejenigen, welche am hartnäckigsten fragen und sich dabei am großzügigsten zeigen, hochgeborene spanische Doñas sind.
    Ich habe euch, ehrwürdige Patres, bereits gesagt, woraus der Schatz bestand. Was seinen Wert betrifft, so habe ich keine Ahnung, wie ihr diese unzähligen Kunstwerke abschätzen würdet. Selbst, wenn man den Wert des Goldes und der Edelsteine allein für sich nimmt, wüßte ich nicht zu sagen, wie man ihn in Maravedíes und Reales ausdrücken sollte. Doch nach dem, was man mir über den gewaltigen Reichtum eures Königs Carlos und eures Papstes Clemens und anderer reicher Persönlichkeiten in eurer Alten Welt erzählt hat, glaube ich, kann man füglich behaupten, daß ein Mann, welcher den »verlorenen

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