Der Azteke
Tuch herüber und versetzte mir mit aller Macht eine Maulschelle. »Dafür, daß du so respektlos von unserem zukünftigen Tecútli sprichst! Wer bist du, wie überhebst du dich, daß du es wagst, einen Edelmann zu verunglimpfen?«
Ich schluckte häßlichere Worte hinunter, die mir auf die Lippen kommen wollten, sagte jedoch immerhin: »Ich bin nicht der einzige auf dieser Insel, der weiß, daß Pactli ein abgrundtief verdorbener und verachtenswerter …«
Sie versetzte mir noch eine Maulschelle. »Tepetzálan«, wandte sie sich an unseren Vater. »Noch ein Wort von diesem aufsässigen jungen Mann, und du mußt ihn bestrafen.« Und zu mir gewandt, sagte sie: »Wenn der hochgeborene Pili-Sohn des Herrn Rot Reiher Tzitzitlíni heiratet, werden wir anderen auch zu Pipiltin. Welche großen Aussichten hast du denn, ohne Beruf, nur mit dem eitlen Ehrgeiz, Wort-Bilder zu lernen, unserer Familie eine so erlauchte Stellung zu verschaffen?«
Unser Vater räusperte sich und sagte: »Ich bin nicht besonders darauf erpicht, das - tzin an unseren Namen zu hängen, aber noch weniger bin ich auf Unhöflichkeit und Schande erpicht. Einem Edelmann eine Bitte abzuschlagen – insbesondere, die Ehre abzulehnen, die es für uns bedeuten würde, wenn Pactli um die Hand unserer Tochter bitten sollte – würde heißen, ihn vor den Kopf zu stoßen, und würde uns in eine Schande stürzen, die wir nie überleben würden. Falls man uns überhaupt gestatten würde weiterzuleben, auf jeden Fall müßten wir Xaltócan verlassen.«
»Nein, ihr anderen nicht.« Tzitzitlíni sprach zum erstenmal und mit fester Stimme. »Ich werde gehen. Wenn dieser heruntergekommene Unhold Pactli … Erhebe nicht die Hand noch einmal gegen mich, Mutter. Ich bin eine erwachsene Frau, und ich schlage zurück.«
»Du bist meine Tochter, und dies ist mein Haus!« zeterte meine Mutter.
»Kinder, was ist in euch gefahren?« sagte mein Vater.
»Ich sage nur soviel«, fuhr Tzitzi fort. »Wenn Pactli um mich anhält und ihr euch einverstanden erklärt, werdet weder ihr noch er mich je wiedersehen. Dann verlasse ich diese Insel für immer. Und wenn ich mir kein Acáli leihen oder entwenden kann, werde ich schwimmen. Erreiche ich das Festland nicht, werde ich ertrinken. Weder Pactli noch irgendein anderer Mann wird mich je berühren, nur ein Mann, dem ich mich aus freien Stücken hingeben kann.«
»Auf ganz Xaltócan«, stotterte meine Mutter, »gibt es keine Tochter, die so undankbar, so ungehorsam und so trotzig ist wie du, daß ….«
Diesmal wurde sie von meinem Vater zum Schweigen gebracht, der erklärte – es feierlich erklärte: »Tzitzitlíni, wenn jemand deine ungehörigen Worte außerhalb dieser Wände gehört hat, könnte nicht einmal ich dir verzeihen oder verhindern, daß du geziemend bestraft wirst. Man würde dir die Kleider vom Leib reißen und dir den Kopf scheren. Unsere Nachbarn würden es tun, wenn ich es nicht täte, um ein Exempel für ihre eigenen Kinder zu statuieren.«
»Es tut mir leid, Vater«, sagte sie mit gleichbleibender Stimme. »Du mußt wählen. Eine pflichtvergessene Tochter oder gar keine.«
»Ich danke den Göttern, daß ich mich nicht heute entscheiden muß. Wie deine Mutter gesagt hat, werden noch ein paar Jahre vergehen, ehe der junge Herr Freude heiraten kann. Wollen wir bis dahin nicht mehr davon sprechen, weder im Zorn noch sonst. Wer weiß, was bis dahin alles geschieht.«
Unser Vater hatte recht: Vieles sollte noch geschehen. Ich wußte nicht, ob es Tzitzi mit allem ernst war, was sie gesagt hatte, und fand auch keine Gelegenheit, sie zu fragen, weder an diesem Abend noch am nächsten Tag. Wir wagten nicht mehr, als von Zeit zu Zeit einen besorgten und sehnsüchtigen Blick zu tauschen. Aber ob sie sich an ihren Vorsatz halten würde oder nicht, die Aussicht war trostlos. Wenn sie vor Pactli floh, würde ich sie verlieren. Wenn sie nachgab und ihn heiratete, würde ich sie verlieren. Sollte sie das Bett mit ihm teilen, so verstand sie sich bestimmt auf die Kunstgriffe, ihn davon zu überzeugen, daß sie noch unberührt sei. Sollte Pactli jedoch noch vorher argwöhnen, daß sie einem anderen Mann beigewohnt hatte – und daß auch noch ich dieser Mann war –, seine Wut würde grenzenlos sein, seine Rache unvorstellbar. Zu welch grauenhafter Art auch immer er sich dann entschied, uns zu vernichten – Tzitzi und ich würden einander für immer verloren haben.
Ayya, es geschahen in der Tat viele Dinge, und eines davon
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