Der Azteke
einfallsreiche Kostüme und Kulissen entworfen hatten.
»Ein Jammer, daß du nicht mit uns kommen kannst, Maulwurf«, sagte Tlatli wohl ganz aufrichtig, wenn auch nicht weniger erfreut über das Glück, das ihm selbst widerfahren war. »Du könntest an dem ganzen langweiligen Unterricht teilnehmen, und wir könnten ungehindert unserer Arbeit in den Werkstätten nachgehen.«
Entsprechend den Aufnahmebedingungen sollten beide Jungen neben dem Unterricht, den die Calmécac-Priester erteilten, auch noch als Lehrlinge zu Tenochtítlaner Künstlern in die Lehre gegeben werden: Tlatli bei einem Meisterbildhauer und Chimáli bei einem Meistermaler. Ich war sicher, daß keiner sich ein Bein ausreißen würde, am Unterricht in Geschichte, Schreiben, Lesen, Rechnen und ähnlichem teilzunehmen, den Dingen, nach denen ich mich am meisten sehnte. Doch wie dem auch sei: ehe sie Xaltócan verließen, sagte Chimáli: »Hier ein Abschiedsgeschenk von mir, Maulwurf. Alle meine Farben und Rohre und Pinsel. In der Stadt bekomme ich ohnehin bessere. Vielleicht kannst du sie bei deinen Schreibübungen gut gebrauchen.«
Ja, ich ging immer noch ohne Anleitung und ohne Lehrer der Erlernung der Künste des Lesens und Schreibens nach, wiewohl jetzt wirklich kaum noch irgendwelche Hoffnung für mich bestand, jemals ein Wortkundiger zu werden, und mein Traum, nach Tenochtítlan zu ziehen, würde sich wohl nie verwirklichen. Da mein Vater nun seinerseits die Hoffnung aufgegeben hatte, daß ich jemals ein guter Steinhauer werden würde, war ich jetzt auch zu alt, um noch länger am verlassenen Steinbruch zu sitzen und die schädlichen Nager fernzuhalten. Deshalb hatte ich mich schon seit geraumer Zeit als gemeiner Landarbeiter verdingt, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen und zu dem unserer Familie beizutragen.
Selbstverständlich wird auf Xaltócan kein richtiger Ackerbau betrieben, dazu mangelt es zu sehr an fruchtbarer Ackerkrume, um Feldfrüchte wie den Mais darauf zu pflanzen, die für ihre Wurzeln auf einen tiefreichenden Boden angewiesen sind. Deshalb baut Xaltócan – wie alle auf kleinen Inseln gelegenen Gemeinwesen – den größten Teil seines Gemüses auf den ausgedehnten und immer weiter sich ausdehnenden Chinämpa an, die ihr »Schwimmende Gärten« nennt. Jedes Chinämitl ist ein aus vielen eng verflochtenen Zweigen und Ästen bestehendes, schwimmendes Floß, das am Rand des Sees verankert und dann mit vielen, vielen Ladungen fruchtbarsten Bodens beladen wird, den man eigens vom Festland herbeischafft. Während das Wurzelgeflecht der angebauten Pflanzen von Jahr zu Jahr dichter wird und neue Wurzeln an den alten in die Tiefe wachsen, klammern sie sich zuletzt am Boden des Sees fest, so daß es ein Ding der Unmöglichkeit ist, das Floß jetzt noch bewegen zu wollen. Neue Gärten werden gebaut und neben den bereits angewachsenen verankert, und so ist jede bewohnte Insel in all unseren Seen, Tenochtitlan eingeschlossen, von einem breiten Ring dieser Chinámpa umgeben. Auf etlichen der fruchtbareren Inseln ist es schwierig zu unterscheiden, wo das gottgemachte Land aufhört und die menschengemachten Felder beginnen.
Man braucht weder bessere Augen noch mehr Intelligenz als ein Maulwurf zu besitzen, um solche Gärten zu bestellen, und so kümmerte ich mich um die meiner Familie und einiger Nachbarn in unserem Viertel. Besonders anstrengend war die Arbeit nicht, und so blieb mir viel Zeit, daß ich mich – mit Hilfe der Farben, die Chimáli mir geschenkt hatte – weiterhin dem Malen von Wort-Bildern hingab. Ich bemühte mich, die kompliziertesten Symbole zu vereinfachen, sie zu stilisieren und kleiner zu gestalten. So unwahrscheinlich es damals auch aussah, insgeheim nährte ich immer noch die Hoffnung, daß meine Selbsterziehung mir dazu verhelfen werde, das Los, welches mir im Leben bestimmt war, zu verbessern. Heute muß ich mitleidig lächeln, wenn ich mich daran erinnere, wie ich als junger Mann – eingehüllt vom strengen Geruch des aus tierischen Eingeweiden und Fischköpfen bestehenden Düngers – auf einem Gartenfloß zwischen Mais-, Bohnen- und Chilischößlingen dahockte, meine Schreibübungen machte und meinen ehrgeizigen Träumen nachhing.
So spielte ich zum Beispiel mit dem Gedanken, einer der reisenden Pochtéca-Kaufleute zu werden und auf diese Weise hinunterzugelangen ins Land der Maya, wo ein Wundertäter unter den Heilkundigen mir mein Augenlicht wiedergab, und ich durch geschickten Handel unterwegs auch
Weitere Kostenlose Bücher