Der Azteke
für diese Schulen und ihre Lehrer-Priester nichts als Verachtung übrig. Du bist nicht hier, um eine Calmécac zu besuchen.«
»Nicht … ? Aber ich dachte, ich sei hergekommen, um zu studieren?«
»Das wirst du auch, sehr hart sogar, allerdings gemeinsam mit den Palastkindern, denen von Nezahualpíli und seiner Edelleute. Unsere Kinder werden nicht von ungewaschenen Zelotenpriestern unterrichtet, sondern von den weisen Männern, die mein Gatte selbst ausgesucht hat, Männern, die ein jeder bereits Beachtliches geleistet haben auf dem Gebiet, auf dem sie unterrichten. Hier lernst du vielleicht nicht viel Zauberei und Beschwörungsgesänge, Kopf Neiger, sondern richtige, echte, nützliche Dinge, die einen Mann aus dir machen werden, welcher der Welt etwas Bedeutendes zu geben hat.«
Wenn ich nicht schon jetzt Mund und Augen aufgesperrt hatte, dann bestimmt gleich darauf, als ich sah, wie der Sklave mit seiner Fackel umherging und Bienenwachskerzen entzündete, die auf Wandleuchtern steckten. »Ein ganzes Zimmer für mich allein?« entfuhr es mir. Dann trat der Mann durch einen Bogen in einen weiteren Raum, und ich brachte fassungslos hervor: »Sogar zwei? Aber Gebieterin, dieses hier ist ja schon fast so groß wie mein ganzes Elternhaus.«
»An die Bequemlichkeit wirst du dich schon gewöhnen«, sagte sie lächelnd. Sie mußte mich förmlich hineinstoßen. »Dieses hier ist dein Studierzimmer. Dahinter liegt die Badestube. Die wirst du vermutlich zuerst benutzen wollen, um dich nach der Reise frisch zu machen. Zieh nur am Klingelzug, und dein Diener wird kommen, dir behilflich zu sein. Dann iß tüchtig und schlaf gut, Kopf Neiger. Wir werden uns bald wiedersehen.«
Der Sklave folgte ihr aus dem Raum hinaus und schloß die Tür. Mir tat es von Herzen leid, daß eine so freundliche Dame mich allein ließ, gleichzeitig war ich jedoch auch froh darüber, denn jetzt konnte ich mich endlich in meiner Wohnung umsehen, wirklich wie ein Maulwurf, der kurzsichtig Einrichtung und Ausstattung genau in Augenschein nahm. Das Studierzimmer war mit einem niedrigen Tisch und einem kissenbesetzten niedrigem Icpáli-Stuhl sowie einer Truhe aus Weidengeflecht für Kleider und Bücher sowie einem Kohlebecken aus Lavagestein ausgestattet, in dem bereits Mizquitl-Scheite übereinandergelegt waren; außerdem war noch ein reichlicher Vorrat an Kerzen vorhanden, damit ich auch nach Einbruch der Dunkelheit noch bequem arbeiten konnte, sowie ein Spiegel aus poliertem Tezcatl – jenem seltenen klaren Kristall, in dem man sich wirklich wiedersah und nicht wie in der billigeren, dunkleren Art, wo man sein Gesicht nur undeutlich erkennen konnte. Der Raum wies eine Fensteröffnung mit einer Matte aus gespaltenem Rohr davor auf, das man mit Hilfe einer Zugvorrichtung aus Schnur hochrollen und ganz hinunterlassen konnte.
Die Schlafkammer enthielt keine Lagerstatt aus geflochtenem Rohr, sondern eine erhöhte Plattform, auf der zehn oder zwölf, offenbar mit Daunen gefüllte dicke Decken übereinanderlagen; jedenfalls bildeten sie einen Stapel, der sich wolkenweich anfühlte. Wollte ich schlafen, konnte ich zwischen jede Lage kriechen, die ich wollte, je nachdem, wie weich ich es unter mir und wie warm ich es über mir haben wollte.
Die Badestube hingegen gab mir zuerst manches Rätsel auf. Im Boden befand sich eine mit Platten ausgekleidete Vertiefung, in welcher man sitzen und baden konnte, doch sah ich nirgends Wasserkrüge, das Becken damit zu füllen. Außerdem stand noch ein Behältnis da, auf dem man sich niederhocken konnte, um seine Notdurft zu verrichten, doch war dieses fest in den Boden eingelassen und ließ sich offensichtlich nicht nach jedem Gebrauch leeren. Jedes von den beiden – die Badewanne und das Toilettenbecken – wies an der Wand darüber ein eigentümlich gebogenes, aus der Wand kommendes Rohr auf, doch kam aus keinem von beiden Wasser heraus oder diente, soweit ich feststellen konnte, irgendeinem anderen erkennbaren Zweck. Nun, ich hätte nie daran gedacht, daß ich mir von irgendwoher eine Anleitung holen müsse, wie ich mich zu reinigen und meine Notdurft zu verrichten hätte, doch nachdem ich die Einrichtung eine Weile völlig verblüfft studiert hatte, ging ich hinüber, betätigte den Klingelzug und wartete einigermaßen verlegen darauf, daß der mir zugeteilte Tlacótli erscheinen sollte.
Der frischgesichtige kleine Junge, der an meine Tür kam, sagte munter: »Ich bin Cozcatl, Herr. Ich bin neun Jahre alt und
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